Brandi, Clara; Dominique Bruhn, Dominique (DIE): Do we need to re-think free trade?

German Vice Chancellor and Economy Minister Sigmar Gabriel recently declared the Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) a failure, and the Canadian Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) is also facing strong opposition. Scepticism towards free trade agreements is at an all time high. And that is not all. The level of approval for free trade is falling generally, and globalisation critics are enjoying fresh momentum in large parts of the world, even among former champions of free trade, such as Germany. How do we explain these trends?

First: trade rules are advancing ever further into sensitive areas of national policy.
The debate in Germany and the EU is primarily focused on the fact that more recent trade regulations often go far beyond the dismantling of tariffs, affecting issues such as consumer and environmental protection. For example, TTIP seeks to use regulatory cooperation to reconcile differences in standards between the US and the EU. If negotia-tors agree on the smallest common denominator, it is claimed that this will have a detrimental effect on those standards. Although leading policy-makers stress that European standards will not be lowered, there is tremendous concern within civil society. Consumer and environmental protection should be taken seriously in negotiations and not fall prey to economic interests. Instead, trade agreements should be used to reform general economic conditions for the global common good. At the same time, there is also room for discussion with regard to more traditional matters of trade policy, not least from the perspective of developing countries.

Second: the positive impact of free trade has failed to live up to several countries’ expectations.
Exports have long been seen as growth drivers. Increased fragmentation in production at global level provides proponents of market liberalisation with another cogent argument: in order to compete in global value chains, imported intermediate goods must also be available at low cost, which is a clear no to import duties and the protection of domestic industries. Global value chains do in fact offer major opportunities for developing countries especially. By using intermediate products from abroad, these nations can take on those parts of the production process that they are best equipped to manufacture or provide, without having to establish an entire industry themselves. Nonetheless, many developing countries are active primarily in low-wage segments, for example, the sewing together of textiles. Critics stress that free trade keeps developing countries “trapped” in sectors that are in line with their current comparative advantage (e.g. the export of raw materials and simple assembly of imported intermediate goods), and that trade and investment agreements make it more difficult for them to upgrade to higher-quality goods and more complex production steps. Consequently, it is important to strike a balance between dismantling trade barriers and safe-guarding a certain degree of political room for manoeuvre with regard to implementing national development strategies.

Third: not everyone has benefited from free trade.
Free trade leads to changes in the economic struc-ture of countries. If nations specialise according to their comparative advantage, growth will take place in sectors which make intensive use of the relatively favourable production factors. Conversely, this means jobs will be lost in areas where production steps can be carried out more cost effectively abroad, for example, iPhone assembly in China. In other words, there are both losers and winners when it comes to free trade. At the same time, the more efficient allocation of production ensures lower prices, which benefit all consumers. Nonetheless, recent research findings show that different consumption patterns have meant that poor sectors of the population have benefited less from free trade than wealthy ones. Prices of goods and services which are primarily consumed by wealthier sectors of the population have fallen more steeply than those of agricultural products, for instance, on which poorer population groups spend a greater proportion of their income. At an overall level, however, the welfare gain achieved by free trade would be large enough for the winners to balance out the losers and for everyone to potentially benefit in the end. Greater account should be taken of the different effects of free trade and appropriate policy measures discussed in future.

Free trade has been a key driver of economic development in recent decades. As such, we should not bury it in times of bleak global economic growth forecasts. But we do need a new kind of free trade which takes account of the criticism, some of which has been justified. To achieve this, international trade activities need to line up with the Sustainable Development Goals, economically, socially and environmentally. The G20 is a key actor when it comes to realising this objective.

Source: Website DIE, 04.10.2016Sigmar Gabriel hat jüngst die Transatlantische Partnerschaft (TTIP) für gescheitert erklärt und auch das kanadische Abkommen CETA schlägt hohe Wellen. Die Skepsis an Freihandelsabkommen ist auf einem historischen Hoch. Und nicht nur das. Auch die Zustimmung zu freiem Handel generell sinkt und Globalisierungskritiker in weiten Teilen der Welt bekommen Aufwind – sogar unter ehemaligen Freihandelschampions wie Deutschland. Wie kann man diese Trends erklären?

Erstens: Handelsregeln dringen immer weiter in sensible nationale Politikbereiche vor.

In Deutschland und der EU steht vor allem im Fokus der Debatte: Neuere Handelsregeln gehen häufig weit über den Abbau von Zöllen hinaus und betreffen auch Themen wie Verbraucher- und Umweltschutz. Durch TTIP sollen beispielsweise Standards, die sich zwischen den USA und der EU unterscheiden, durch regulatorische Kooperation angeglichen werden. Einigen sich die Verhandler auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, ginge das zu Lasten dieser Standards. Obwohl führende Politiker betonen, dass europäische Standards nicht gesenkt werden sollen – die Befürchtungen der Zivilgesellschaft sind massiv. Verbraucher- und Umweltschutz sollte in den Verhandlungen ernst genommen werden und nicht wirtschaftlichen Interessen zum Opfer fallen. Handelsabkommen sollten vielmehr dazu genutzt werden, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Sinne des globalen Gemeinwohls zu reformieren. Doch auch bei den klassischeren Fragen der Handelspolitik gibt es Raum für Diskussionen – nicht zuletzt aus der Perspektive der Entwicklungsländer.

Zweitens: Die positiven Auswirkungen des Freihandels sind hinter den Erwartungen einiger Länder zurückgeblieben.

Seit langem gelten Exporte als Wachstumsmotor. Die verstärkte globale Fragmentierung der Produktion bietet den Verfechtern der Marktliberalisierung ein weiteres stichhaltiges Argument: Um in globalen Wertschöpfungsketten wettbewerbsfähig zu sein, müssen auch importierte Zwischengüter kostengünstig verfügbar sein – eine klare Absage an Importzölle und den Schutz heimischer Industrien. Tatsächlich bieten globale Wertschöpfungsketten gerade für Entwicklungsländer große Chancen: Durch die Verwendung ausländischer Zwischenprodukte können sie die Teile des Produktionsprozesses übernehmen, die sie am besten her- oder bereitstellen können – ohne selbst eine ganze Industrie aufbauen zu müssen. Allerdings sind viele Entwicklungsländer vor allem in Niedriglohnsegmenten aktiv, z.B. dem Zusammennähen von Textilien. Kritiker betonen, dass der Freihandel Entwicklungsländer in ihrem aktuellen komparativen Vorteil, z.B. dem Export von Rohstoffen und dem einfachen Zusammenbauen importierter Zwischengüter, gefangen hält und dass Handels- und Investitionsabkommen ein „Upgrading“ zu höherwertigen Gütern und komplexeren Produktionsschritten erschweren. Es ist deshalb wichtig, eine Balance zu finden zwischen dem Abbau von Handelsbarrieren und der Wahrung eines gewissen Politikspielraums zur Umsetzung nationaler Entwicklungsstrategien.

Drittens: Nicht alle Menschen haben vom Freihandel profitiert.

Freihandel führt zu Veränderungen der Wirtschaftsstruktur: Spezialisieren Länder sich gemäß ihres komparativen Vorteils, werden diejenigen Sektoren wachsen, die die relativ günstigeren Produktionsfaktoren intensiv einsetzen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Arbeitsplätze dort verloren gehen, wo Produktionsschritte günstiger im Ausland durchgeführt werden können – z.B. das Zusammenbauen des iPhones in China. Die effizientere Verteilung von Produktion bringt also Gewinner und Verlierer hervor. Gleichzeitig sorgt sie für niedrigere Preise, die allen Konsumenten zu Gute kommen. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen allerdings, dass die armen Bevölkerungsschichten aufgrund unterschiedlicher Konsummuster weniger vom Freihandel profitiert haben als die reichen. Die Preise von Gütern und Dienstleistungen, die vornehmlich von reicheren Bevölkerungsschichten konsumiert werden, sind stärker gefallen als zum Beispiel von Agrarprodukten, für die die ärmere Bevölkerung einen großen Anteil ihres Einkommens aufwendet. Unterm Strich gilt jedoch: Der Wohlfahrtsgewinn durch Freihandel ist groß genug, dass die Gewinner die Verlierer kompensieren und am Ende alle profitieren könnten. In Zukunft sollten den unterschiedlichen Auswirkungen des Freihandels besser Rechnung getragen und angemessene Politikmaßnahmen diskutiert werden.

Der Freihandel war in den letzten Jahrzehnten ein wichtiger Treiber ökonomischer Entwicklung. Wir sollten ihn in Zeiten von düsteren weltwirtschaftlichen Wachstumsprognosen nicht begraben. Aber wir brauchen eine neue Form des Freihandels. Einen Freihandel, der einer zum Teil berechtigten Kritik Sorge trägt. Damit das gelingt, sollte der internationale Handel auch im Einklang mit den globalen Nachhaltigkeitszielen stehen – ökonomisch, sozial und ökologisch. Die G20 ist ein wichtiger Akteur, um dieses Ziel umzusetzen.

Quelle: Website DIE, 04.10.2016