[:de]Die Frage der Ernährungssicherheit der Haushalte ist nicht einfach. Und das Rezept für eine Lösung noch komplexer.
Im Januar 2016 veröffentlichte Oxford Medicine die dritte Auflage von „Nutrition for Developing Countries“. Diese wegweisende, im Themenfeld Ernährung anerkannte Publikation könnte die Sichtweise von Akteuren und ihr Herangehen an zentrale Fragen maßgeblich beeinflussen. Mit einfachen Worten wird erklärt, was gute Ernährung ist und wie arme Haushalte mit dem Wenigen, das sie haben, für ausreichende Ernährung sorgen können. Das Buch basiert auf den Erfahrungen internationaler Autoren mit praktischen Lösungsansätzen, die den Nährstoffbedarf von Säuglingen, Kindern, Schwangeren und Stillenden decken, Fehlernährung und Vitaminmangel entgegenwirken und Fettleibigkeit und Diabetes eindämmen.
Ein wichtiger Abschnitt, das Kapitel 26, behandelt indes die völlig andere Frage: „Wie lässt sich die Ernährungssicherheit der Haushalte verbessern?“ Dass Ernährung und Ernährungssicherheit langsam zu einem Thema verschmelzen, ist eine gute Entwicklung, die aber fundiert und ausgewogen sein muss. Das bedeutet, dass beide Seiten versuchen, die Anliegen der jeweils anderen zu verstehen. Misslingt dies, kann das dazu führen, dass künftige Maßnahmen an den wahren Problemen vorbeigehen oder ungeeignete Lösungen versuchen.
Kapitel 26 beschreibt, wie Haushalte in ländlichen und urbanen Räumen Nahrung in Haus- und Nutzgärten erzeugen können („kitchen gardening“). In solchen Gärten lässt sich eine Fülle saisonaler Gemüse, Früchte, Kräuter, Hülsenfrüchte und Knollen in kleinen Mengen anbauen: ein ganzjähriges Nahrungsangebot. Das Buch nennt mikronährstoffreiche Nutzpflanzen, deren Anbau an die Haushaltskasse angepasst werden kann. Und es bietet ein schlagendes Argument für integrierte Acker- und Viehwirtschaft, eine Kombination aus Pflanzenbau und Nutztierhaltung mit Hühnern, Enten, Kaninchen, Ziegen, Fischen usw. Sie deckt den Eiweißbedarf der Familie und liefert Produkte, die sich auf dem Markt verkaufen lassen.
Das Buch zeigt gangbare Wege, die Ernährung zu verbessern. Bedenklich ist jedoch, dass es als Hauptursache von Ernährungsunsicherheit einzig die wachsende Bevölkerung und Urbanisierung ansieht und die dominierende Bedeutung des wirtschaftlichen Zugangs zu Nahrung ignoriert. Ernährungs- und bevölkerungsrelevante Aspekte werden über-, Armut und andere Einflüsse auf den Zugang unterbewertet – eine ökonomisch und sozial kurzsichtige und politisch blinde Sichtweise.
Ernährungsunsicherheit ist ein unübersichtliches Wechselspiel vieler, oft tief in Armut verwurzelter Kräfte. Armut ist das Ergebnis sehr niedriger (oder fehlender) Einkommen in weiten Teilen der Bevölkerung und/oder fehlender wirtschaftlicher Transferleistungen aus sozialen Netzen oder staatlichen Transfersystemen.
Ohne andere Ursachen für Armut im ländlichen Raum wie den Mangel an Land und Wasser zu vernachlässigen, sind Einkommen in der Landwirtschaft niedrig, weil die Produktivität gering ist. In vielen armen Ländern erwirtschaften die Kleinbauern nur 15–30 Prozent des Möglichen. Das reduziert die Erzeugung für Eigenbedarf und Handel und damit die Möglichkeit, andere notwendige Produkte und Dienste wie Lebensmittel, Bildung, Gesundheit und Kommunikation einzukaufen. Überdies dämpfen niedrige Agrarumsätze und -einkommen das lokale Wirtschaftsleben, die Nachfrage nach Arbeitskräften und Betriebsmitteln, Lohnsteigerungen und nichtagrarische Aktivitäten. Sozial- und Bargeldtransfers fehlen in vielen armen Ländern, da die Mehrheit der Einwohner arm ist, vom informellen Sektor lebt, keine Steuern zahlt und keinen politischen Einfluss hat. Das ist Armut!
Der Motor, der landwirtschaftliche Produktivität und Einkommen steigen lässt, ist oft ein besserer Marktzugang. Den erhalten Kleinbauern aber nur, wenn sie durch eine Intensivierung der Produktion ihre Erträge steigern können. Voraussetzung ist ein verstärktes Bemühen um z. B. Land, Wasser, Arbeitskräfte, biologische Ressourcen und Fachwissen. Kleinbauern, die überwiegend auf eigene Mittel wie Kompostierung, Düngung und Mehrebenen-Produktion setzen, haben in schwierigen Zeiten oft mehr Arbeit, als sie bewältigen können. Sie müssen Kräfte einstellen oder Maschinen kaufen – ohne zusätzliches Kapital unmöglich.
Bareinnahmen aus Agrarproduktion setzen gute, kalkulierbare Marketingkanäle und einträgliche, stabile Preise voraus. Selbst wenn ein marktfähiger Überschuss erzielt wird, bleibt noch die Hürde, ihn zum Markt zu transportieren und zu konkurrenzfähigen Preisen zu verkaufen. Die Produkte konkurrieren mit denen anderer Anbieter, ob lokal oder international. Für Gemeinschaften in Randgebieten, die kaum Zugang zu Märkten haben, stellt das Einschleusen ihrer Erzeugnisse in Wertschöpfungsketten eine gewaltige Herausforderung dar.
„Nutrition for Developing Countries“ zufolge gewährleistet häusliche Nutzpflanzenproduktion die Ernährungssicherheit der Haushalte. Diese These weicht jedoch dem drängenden Problem chronischer Armut in ländlichen Haushalten aus und spielt die Hürden auf dem Weg zum Marktzugang herunter. Die Frage der Ernährungssicherheit der Haushalte ist komplexer, als viele denken, und ihre Antwort ist es erst recht.
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Quelle: Brüntrup, Michael / Aimée Hampel-Milagrosa Die aktuelle Kolumne vom 29.03.2016, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)[:en]The issue of household food security is not simple. And the recipe for a solution is even more complex.
In January 2016, Oxford Medicine published the third edition of its factbook “Nutrition for Developing Countries”. This landmark publication is highly acknowledged in the nutrition field and has the potential to shape the nutrition communities’ perception and approach on key issues. It explains in simple language what good nutrition is and how poor households could acquire proper nutrition with the little means they have. The book draws from extensive experiences of international authors to create practical solutions to meet nutritional needs of babies and children, pregnant and breastfeeding women, to counteract malnutrition and vitamin deficiencies, and to manage obesity and diabetes.
However one key chapter deals with an altogether different issue: Chapter 26, “Improving household food security”. While it is good that food security and nutrition are increasingly merging into one single field, it is important that the merger is well-informed and balanced. This implies that each side tries to understand what the issues are on the “other” side of the field. If this is not the case, future interventions might not target the right problems or might target the right problems in the wrong way.
This chapter presents numerous ways on how to jumpstart and sustain small household scale food production via “kitchen gardening” in rural and urban areas. Kitchen gardening entails growing small amounts of a large variety of seasonal vegetables, fruits, herbs, legumes and tubers, in order to have a year-round supply of food. The book suggests crops that are rich sources of micronutrients whose production could be adjusted to suit available household resources. It also presents a winning argument for integrated crop and livestock production. This means mixing, whenever possible, the production of crops with small scale production of livestock – such as chicken and ducks, rabbits, goats and fish – in order to cover protein needs for the families and for selling in the market.
While “Nutrition for Developing Countries” lists a lot of practical ways of improving nutrition, it alarmingly identifies only urbanization and an increasing population as root causes of food insecurity. It does not look at the dominant role that economic access to food plays in explaining food insecurity. By overemphasizing nutritional and population aspects and downplaying or even ignoring income poverty and other factors affecting access, the perspective becomes economically and socially myopic and politically blind.
Food insecurity is a muddled and dynamic interplay of various elements, many of them heavily anchored to poverty. Poverty is a result of extremely low (or lack of) incomes in the majority of the population and/ or a lack of economic transfers, either based on social relations or by government transfer systems.
Without neglecting other reasons for low incomes in rural areas – such as low land and water endowments – incomes in rural areas are low because productivity in agriculture is low. In many poor countries smallholder yields are only 15-30% of their potential. This reduces the amount of production for subsistence and for selling on markets to purchase other much needed products and services, from food to education to health to communication. These are all required to improve basic living conditions including food security and nutrition. Low agricultural sales and income also reduce local economic dynamics, do not create demand for labour and inputs, keep wages low and do not contribute to vibrant economic off-farm activities. The deeply needed social and cash transfers in poor countries are often lacking because a large part of the population is poor, lives off the informal sector , has no resilience against shocks such as droughts, floods and war, does not pay taxes and has only little political influence. This is poverty!
The engine for improving agricultural productivity and higher incomes for rural population often lies in a better integration into markets. To be integrated into the market, smallholders have to produce substantially higher yields through intensifying their production. This requires increased efforts of, for example, land, water, labour, biological resources and knowledge. If smallholders rely more on internal resources such as mulching, composting, manuring, multi-storey cropping, agro-forestry or irrigation, this usually requires more labour during critical periods which poor households do not have. They have to hire labour or invest in mechanization, which only is possible if additional capital is available.
Cash earnings from agricultural production require good and predictable marketing channels, as well as remunerative and stable prices . Assuming that indeed, a marketable surplus is achieved, the hurdle of bringing the produce to the market and selling it at competitive prices still needs to be overcome. They compete with other providers, either locally or internationally. In the case of communities that live in peripheral areas with negligible market access, integrating them into the value chains is a barrier that is extremely challenging to overcome.
“Nutrition for Developing Countries” makes the implicit assumption that homestead crop production could safeguard household food security. It thereby is evading the critical concern of chronic poverty among rural households and downplaying the challenges of market integration. The issue of household food security is not as simple as what many people believe, and the recipe for a solution, even more complex.
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Source: Brüntrup, Michael / Aimée Hampel-Milagrosa, The Current Column from 29.03.216, German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)[:]