[:de]Sehr geehrte Frau Gura, Sie sind 1. Vorsitzende des Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt e.V. (VEN). Welche Ziele stehen in Ihrer Arbeit für Sie besonders im Vordergrund?
Als die Vereinten Nationen zu Beginn der 1980er Jahre vor dem Verlust der landwirtschaftlichen Biodiversität warnten und bereits drei Viertel der Sortenvielfalt als verloren bekanntgaben, wurdevon entschlossen engagierten Menschen der VEN gegründet. Der Verein sammelt seit 27 Jahren seltene Sorten und hat inzwischen über 700 Mitglieder bundesweit und mehrere tausend Sorten in seinem Katalog. Genbanken genügen nicht, dort bleibt ähnlich wie ein Komapatient das Saatgut zwar am Leben, aber nicht lebendig. Es muss jedes Jahr in die Gärten und auf die Äcker, damitsich die Sorten weiter entwickeln. Sie müssen sich auch regional anpassen können, anders als die Einheitssorten für die konventionelle Landwirtschaft. Immer mehr Menschen interessieren sich für die Nutzpflanzenvielfalt. Anders als die meisten Wildpflanzen brauchen Kulturpflanzen Menschen, die wissen, wie man sie anbaut, vermehrt und nutzt. Diese Fähigkeiten zusammen mit den Sortenweiterzugeben ist eines der Ziele des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt. Darum setzen wir uns auch gemeinsam mit einer Bonner Bürgerinitiative dafür ein, dass der fast 200 Jahre alte Nutzpflanzen-Lehrgarten dem Poppelsdorfer Uni-Campus langfristig nicht doch noch weichen muss.
Sie kritisieren offen die EU-Saatgutrechtsreform, in der geplant ist, den Handlungsspielraum von Bauern und Hobbygärtnern einzuschränken zugunsten von globalisierten Chemiekonzernen wie Monsanto, Syngenta, Bayer und BASF. Wieso ist es so wichtig, dass Bauern und auch Verbraucher weiterhin Saatgut austauschen können?
In den letzten Jahren sind samenfeste Sorten aus dem Angebot für Hobbygärtner und auch für den Profi praktisch verschwunden. Samenfest nennt man Sorten, die man selbst vermehren kann. Sie stehen im Gegensatz zu den Hybriden und den eigentumsrechtlich geschützten Sorten, die die konventionelle Landwirtschaft in eine weitgehende Abhängigkeit von Chemiekonzernen gebracht haben. Freie Vermehrbarkeit istfür die biologische Vielfalt eine Voraussetzung. Es gibt sogar in den Menschenrechtsabkommen das Recht, Saatgut zu vermehren, zu tauschen und zu verkaufen.Der Entwurf zur Reform des Saatgutvermarktungsrechts will vorschreiben, dass Bauern nur noch tauschen oder sogar verschenken können, wenn sie dies amtlich melden. Freier Tausch genügt aber nicht. Viele interessierte GärtnerInnen haben ja noch nichts zum Tauschen. Saat- und Pflanzgut von frei vermehrbaren Sorten muss man kaufen können, ohne dass Behörden um Erlaubnis gebeten oder informiert werden müssen. Hobbygärtner brauchen eine amtliche Prüfung des Saatgutes vielleicht, wenn sie Massenware kaufen wollen. Unsere Kunden fragen nie nach einer Sortenzulassung, sondern sie wollen sich direkt mit dem beraten, der die Sorten selbst anbaut und vermehrt. Wer schlechtes Saatgut verkauft, der wird getadelt oder gemieden.
Die amtliche Zulassung einer Sorte ist viel zu aufwendig, wenn nur kleine Mengen Saatgut von der Sorte verkauft wird, sogar bei Sorten für den kommerziellen Anbau in kleinem Umfang wären die Hürden oft zu hoch. Pro dreihundert Sorten bräuchte man eine Vollzeitarbeitskraft für die Verwaltung, aber die haben wir nicht mal für die Erhaltung. Schutz durch Nutzung wird einerseits propagiert und andererseits rechtlich behindert. Wenn es die EU nicht gäbe, wäre es national dasselbe Problem: die Lobby von viel zu mächtigen Unternehmen.
Was motiviert Sie morgens und wie denken Sie abends darüber nach?
Vielleicht waren Sie im März beim Bonner Saatgutfestival? Es waren Hunderte BesucherInnen da, die Saatgut der selten gewordenen samenfesten Sorten erwerben wollten. Interessierte aus der Eifel hatten sogar einen Bus selbst organisiert. Weil so oft danach gefragt wurde, gibt es 2014 wieder ein Saatgutfestival, und zwar am 8. März in der Drachenfelsschule in Königswinter. Das kann mich morgens motivieren und abends denke ich darüber nach, dass die Etiketten im Handel darüber informieren müssten, ob die Sorte samenfest und frei vermehrbar ist. Auch neue mikrobiologische Züchtungsmethoden, die noch nicht als Gentechnik gelten, müssten gekennzeichnet sein. Wer könnte das durchsetzen?
Welche Frage würden Sie gerne einmal beantworten, die Ihnen noch nie gestellt wurde?
Die bisher nie gestellte Frage lautet: „Darf ich Ihrem Verein etwas von meinem Vermögen stiften?“ Die Antwort lautet: Gerne! Wir haben seit drei Jahren eine Stiftungssatzung in der Schublade und warten nur auf diese Frage.
Das Gespräch führte Janine Dornbusch
Weitere Informationen[:en]Sehr geehrte Frau Gura, Sie sind 1. Vorsitzende des Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt e.V. (VEN). Welche Ziele stehen in Ihrer Arbeit für Sie besonders im Vordergrund?
Als die Vereinten Nationen zu Beginn der 1980er Jahre vor dem Verlust der landwirtschaftlichen Biodiversität warnten und bereits drei Viertel der Sortenvielfalt als verloren bekanntgaben, wurdevon entschlossen engagierten Menschen der VEN gegründet. Der Verein sammelt seit 27 Jahren seltene Sorten und hat inzwischen über 700 Mitglieder bundesweit und mehrere tausend Sorten in seinem Katalog. Genbanken genügen nicht, dort bleibt ähnlich wie ein Komapatient das Saatgut zwar am Leben, aber nicht lebendig. Es muss jedes Jahr in die Gärten und auf die Äcker, damitsich die Sorten weiter entwickeln. Sie müssen sich auch regional anpassen können, anders als die Einheitssorten für die konventionelle Landwirtschaft. Immer mehr Menschen interessieren sich für die Nutzpflanzenvielfalt. Anders als die meisten Wildpflanzen brauchen Kulturpflanzen Menschen, die wissen, wie man sie anbaut, vermehrt und nutzt. Diese Fähigkeiten zusammen mit den Sortenweiterzugeben ist eines der Ziele des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt. Darum setzen wir uns auch gemeinsam mit einer Bonner Bürgerinitiative dafür ein, dass der fast 200 Jahre alte Nutzpflanzen-Lehrgarten dem Poppelsdorfer Uni-Campus langfristig nicht doch noch weichen muss.
Sie kritisieren offen die EU-Saatgutrechtsreform, in der geplant ist, den Handlungsspielraum von Bauern und Hobbygärtnern einzuschränken zugunsten von globalisierten Chemiekonzernen wie Monsanto, Syngenta, Bayer und BASF. Wieso ist es so wichtig, dass Bauern und auch Verbraucher weiterhin Saatgut austauschen können?
In den letzten Jahren sind samenfeste Sorten aus dem Angebot für Hobbygärtner und auch für den Profi praktisch verschwunden. Samenfest nennt man Sorten, die man selbst vermehren kann. Sie stehen im Gegensatz zu den Hybriden und den eigentumsrechtlich geschützten Sorten, die die konventionelle Landwirtschaft in eine weitgehende Abhängigkeit von Chemiekonzernen gebracht haben. Freie Vermehrbarkeit istfür die biologische Vielfalt eine Voraussetzung. Es gibt sogar in den Menschenrechtsabkommen das Recht, Saatgut zu vermehren, zu tauschen und zu verkaufen.Der Entwurf zur Reform des Saatgutvermarktungsrechts will vorschreiben, dass Bauern nur noch tauschen oder sogar verschenken können, wenn sie dies amtlich melden. Freier Tausch genügt aber nicht. Viele interessierte GärtnerInnen haben ja noch nichts zum Tauschen. Saat- und Pflanzgut von frei vermehrbaren Sorten muss man kaufen können, ohne dass Behörden um Erlaubnis gebeten oder informiert werden müssen. Hobbygärtner brauchen eine amtliche Prüfung des Saatgutes vielleicht, wenn sie Massenware kaufen wollen. Unsere Kunden fragen nie nach einer Sortenzulassung, sondern sie wollen sich direkt mit dem beraten, der die Sorten selbst anbaut und vermehrt. Wer schlechtes Saatgut verkauft, der wird getadelt oder gemieden.
Die amtliche Zulassung einer Sorte ist viel zu aufwendig, wenn nur kleine Mengen Saatgut von der Sorte verkauft wird, sogar bei Sorten für den kommerziellen Anbau in kleinem Umfang wären die Hürden oft zu hoch. Pro dreihundert Sorten bräuchte man eine Vollzeitarbeitskraft für die Verwaltung, aber die haben wir nicht mal für die Erhaltung. Schutz durch Nutzung wird einerseits propagiert und andererseits rechtlich behindert. Wenn es die EU nicht gäbe, wäre es national dasselbe Problem: die Lobby von viel zu mächtigen Unternehmen.
Was motiviert Sie morgens und wie denken Sie abends darüber nach?
Vielleicht waren Sie im März beim Bonner Saatgutfestival? Es waren Hunderte BesucherInnen da, die Saatgut der selten gewordenen samenfesten Sorten erwerben wollten. Interessierte aus der Eifel hatten sogar einen Bus selbst organisiert. Weil so oft danach gefragt wurde, gibt es 2014 wieder ein Saatgutfestival, und zwar am 8. März in der Drachenfelsschule in Königswinter. Das kann mich morgens motivieren und abends denke ich darüber nach, dass die Etiketten im Handel darüber informieren müssten, ob die Sorte samenfest und frei vermehrbar ist. Auch neue mikrobiologische Züchtungsmethoden, die noch nicht als Gentechnik gelten, müssten gekennzeichnet sein. Wer könnte das durchsetzen?
Welche Frage würden Sie gerne einmal beantworten, die Ihnen noch nie gestellt wurde?
Die bisher nie gestellte Frage lautet: „Darf ich Ihrem Verein etwas von meinem Vermögen stiften?“ Die Antwort lautet: Gerne! Wir haben seit drei Jahren eine Stiftungssatzung in der Schublade und warten nur auf diese Frage.
Das Gespräch führte Janine Dornbusch