DIE: Die neue Post-2015-Agenda der Vereinten Nationen – globale Transformation oder Entwicklung des Südens?

Am 31. Mai übergaben Vertreter eines aus hochrangigen Politikern und Wissenschaftlern aus aller Welt zusammengesetzten Panels dem Generalsekretär der Vereinten Nationen (VN) einen Vorschlag für eine neue globale Entwicklungsagenda. Ban Ki-moon selbst hatte das Panel beauftragt, über eine Nachfolgeagenda für die Millenniums-Entwicklungsziele nachzudenken, die bis 2015 erreicht werden sollen. Für Deutschland war Altbundespräsident Horst Köhler beteiligt, den gemeinsamen Vorsitz führten der britische Premierminister David Cameron, der indonesische Präsident Susilo Yudhoyono und die liberianische Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf.

Über Inhalte und Ambitionen dieser Nachfolgeagenda hatte es in den vergangenen Monaten einen weltweiten Konsultationsprozess gegeben, der sich im Wesentlichen um drei Fragen drehte: Erstens, soll es eine eher auf die armen Länder fokussierte Agenda bleiben oder soll sie universelle Ziele für alle Länder benennen und damit globaler Zusammenarbeit für das Gemeinwohl einen neuen Schub geben? Zweitens, soll es vordringlich um die Verbesserung der Lebensbedingungen armer Kinder, Frauen und Männer gehen oder muss dieses Ziel verknüpft werden mit anderen Zielen – der Rechtsstaatlichkeit und Gewaltfreiheit, des Klima- und Umweltschutzes, der Welthandelspolitik? Und drittens, soll die Agenda quantifizierte Zielvorgaben machen und wie ließe sich dies mit den so unterschiedlichen Handlungsressourcen und Verantwortlichkeiten der Staaten verbinden?

In Deutschland wurde diese Debatte v. a. in entwicklungs- und umweltpolitischen Kreisen geführt, obwohl ihre Fragen andere Politikfelder und Akteure weit mehr herausfordern. Das High Level Panel on the Post-2015 Development Agenda hat Antworten auf diese drei Fragen gefunden – es lohnt sich, den mit 45 Seiten recht schmalen, aber dichten Bericht zu lesen. Die vielleicht wichtigste Aussage ist, erstens, dass die gemeinsamen Ziele universell sein sollten: die Nachfolgeagenda ist keine Agenda für die armen Länder, an der sich die reichen Länder nur begrenzt über ihre Entwicklungspolitik beteiligen können. Die Ziele sollen vielmehr innen- und außenpolitisch handlungsleitend sein für alle Länder, auch die reichen. Ginge es nur um die Bekämpfung der extremen Armut, wäre dies nicht nötig – inhaltlich ist aber die Agenda viel umfassender gedacht als ihre Vorgängerin, die Millenniums-Entwicklungsziele.

Zweitens sind die Ziele integriert angelegt: die extreme Armut soll bis 2030 abgeschafft werden, und dieses Anliegen wird mit Fragen der nachhaltigen Entwicklung – also der Klima- und Umweltpolitik, der Energie- und Wasserpolitik, des Ressourcenmanagements – verknüpft. Nach Ansicht des Panels gehören diese Fragen ins Zentrum einer globalen Entwicklungsanstrengung, wenn soziale und ökonomische Verbesserungen nicht zukünftigen Wohlstand gefährden sollen. Auch mit Blick auf die Regierungsführung findet das Panel deutliche Worte und sagt, dass good governance und effektive Institutionen eine notwendige Bedingung für eine menschliche und nachhaltige Entwicklung ist. Drittens, die Ziele sind spezifisch: 12 Handlungsfelder (goals) werden mit insgesamt 54 spezifizierten und fast immer quantifizierten Unterzielen (targets) unterlegt, die bis 2030 erreicht werden sollen.

Mit den Zielen will das Panel jedoch nur illustrieren, mit welchen Prioritäten und Maßnahmen der große tiefgreifende Wandel („big transformative shift“) erreicht werden kann, der die Voraussetzung für einen anhaltenden globalen Wohlstand bildet. Dieser tiefgreifende Wandel sollte von fünf grundsätzlichen Entscheidungen angetrieben werden: (i) niemanden vom Wohlstand auszuschließen und Ziele erst dann als erreicht zu betrachten, wenn dies auch für die untersten Einkommensgruppen nachgewiesen ist; (ii) nachhaltige Entwicklung ins Zentrum zu stellen und Konsum- und Produktionsmuster so zu verändern, dass sie universalisierbar sind, (iii) Strukturen und Wachstum der Wirtschaft auf Beschäftigung im Rahmen nachhaltiger Innovationsstrategien zu orientieren, (iv) Frieden und gute Regierungsführung zu sichern und (v) eine neue globale Partnerschaft zur Umsetzung der Agenda aufzubauen, an der alle denkbaren Organisationen und Personen aktiv teilhaben, von Regierungen über zivilgesellschaftliche Organisationen, den Privatsektor bis zur Wissenschaft und privaten Stiftungen.

Damit ist klar, dass die neue globale Entwicklungsagenda kein Bereich ist, der getrost der Entwicklungspolitik und der internationalen Umweltpolitik überlassen werden kann. Will Deutschland die nun folgende globale Debatte aktiv mitgestalten, muss nicht nur neu darüber nachgedacht werden, wie innen- und außengerichtete Politiken besser verschränkt werden und die internationale Zusammenarbeit einbezogen werden können, sondern auch darüber, welchen übergeordneten Zielen sich konkurrierende Politiken (wie Klima und Energie) unterwerfen müssen.

Sind der Bericht und der vorgeschlagene Zielkatalog nun insgesamt überzeugend? Sie bilden auf jeden Fall eine gute Ausgangsposition für die notwendige Debatte darüber, wie wichtig den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die Armutsbekämpfung, die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen auf der Erde und die Umsetzung der Menschenrechte sind. Sollte es gelingen, diese Debatte gehaltvoll zu gestalten, könnte es auch gelingen, die Defizite des Vorschlags auszugleichen: Erstens erfordert eine auf Nachhaltigkeit und die Verschränkung globaler und nationaler Politiken angelegte Agenda erheblich größere Investitionen in die globale Kooperation als wir sie in den letzten Jahren, trotz oder wegen der Finanzkrise, gesehen haben. Sich auf gemeinsame Zielkorridore zu einigen und dann auf ambitionierte nationale Politiken zu hoffen, wird dafür nicht ausreichen. Auch müssen für eine wirksame Kooperation mit anderen gesellschaftlichen Akteuren klare langfristige rechtliche und ökonomische Signale gesetzt werden; zu mehr Mut für visionäres entschiedenes öffentliches Handeln ruft der Bericht jedoch nicht auf, sondern bleibt vage.

Zweitens müssen die dynamischen großen Schwellenländer bereits heute Verantwortung für die nachhaltige Transformation wirtschaftlicher Strukturen übernehmen und nicht erst, nachdem die Industrieländer mit gutem Beispiel vorangegangen sind. Sonst lässt sich bspw. der Aufbau energie- und emissionsintensiver Infrastrukturen nicht verhindern. Der Bericht ist hierzu widersprüchlich – in der Analyse benennt er diese Herausforderung, in den politischen Empfehlungen zu den nationalen Zielen, die sich einzelne Ländergruppen setzen sollten, lässt er genau diesen Bereich weg.

Drittens bergen freiwillige nationale Ziele einerseits das Risiko der Trittbrettfahrerei; jeder hofft darauf, dass der andere vorangeht. Andererseits ist es nicht möglich, Formeln für die Lastenverteilung in allen 12 Handlungsfeldern zu verhandeln. Wichtig wäre dies jedoch mindestens für jene Gefährdungen des Erdsystems, in denen schnelles gezieltes Handeln der großen Verursacher erforderlich ist, um irreversible Schäden wie den Klimawandel oder die Versauerung der Ozeane zu vermeiden. Es ist dringlich, präziser zu benennen, in welchen Fällen dies erforderlich ist und wie die Lasten verteil werden sollten, analog zu den Zielvorgaben des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) für die Treibhausgasemissionen (vgl. dazu die Action Agenda for Sustainable Development des Sustainable Development Solutions Network – SDSN).

Deutschland kann sowohl in nationaler wie auch internationaler Hinsicht einen zentralen Beitrag zu dieser globalen Entwicklungsagenda nach 2015 leisten: mit seiner Energiewende. Es wäre nur wichtig, die Energiewende auch so zu sehen: als innovative Politik, die einen starken Impuls für den globalen wirtschaftlichen Strukturwandel und die globale Kooperation setzen kann, und nicht als Nachteil in einem ökonomischen Wettbewerb, der sich an gestrigen Zielvorgaben abarbeitet.

Imme Scholz, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

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Über Inhalte und Ambitionen dieser Nachfolgeagenda hatte es in den vergangenen Monaten einen weltweiten Konsultationsprozess gegeben, der sich im Wesentlichen um drei Fragen drehte: Erstens, soll es eine eher auf die armen Länder fokussierte Agenda bleiben oder soll sie universelle Ziele für alle Länder benennen und damit globaler Zusammenarbeit für das Gemeinwohl einen neuen Schub geben? Zweitens, soll es vordringlich um die Verbesserung der Lebensbedingungen armer Kinder, Frauen und Männer gehen oder muss dieses Ziel verknüpft werden mit anderen Zielen – der Rechtsstaatlichkeit und Gewaltfreiheit, des Klima- und Umweltschutzes, der Welthandelspolitik? Und drittens, soll die Agenda quantifizierte Zielvorgaben machen und wie ließe sich dies mit den so unterschiedlichen Handlungsressourcen und Verantwortlichkeiten der Staaten verbinden?

In Deutschland wurde diese Debatte v. a. in entwicklungs- und umweltpolitischen Kreisen geführt, obwohl ihre Fragen andere Politikfelder und Akteure weit mehr herausfordern. Das High Level Panel on the Post-2015 Development Agenda hat Antworten auf diese drei Fragen gefunden – es lohnt sich, den mit 45 Seiten recht schmalen, aber dichten Bericht zu lesen. Die vielleicht wichtigste Aussage ist, erstens, dass die gemeinsamen Ziele universell sein sollten: die Nachfolgeagenda ist keine Agenda für die armen Länder, an der sich die reichen Länder nur begrenzt über ihre Entwicklungspolitik beteiligen können. Die Ziele sollen vielmehr innen- und außenpolitisch handlungsleitend sein für alle Länder, auch die reichen. Ginge es nur um die Bekämpfung der extremen Armut, wäre dies nicht nötig – inhaltlich ist aber die Agenda viel umfassender gedacht als ihre Vorgängerin, die Millenniums-Entwicklungsziele.

Zweitens sind die Ziele integriert angelegt: die extreme Armut soll bis 2030 abgeschafft werden, und dieses Anliegen wird mit Fragen der nachhaltigen Entwicklung – also der Klima- und Umweltpolitik, der Energie- und Wasserpolitik, des Ressourcenmanagements – verknüpft. Nach Ansicht des Panels gehören diese Fragen ins Zentrum einer globalen Entwicklungsanstrengung, wenn soziale und ökonomische Verbesserungen nicht zukünftigen Wohlstand gefährden sollen. Auch mit Blick auf die Regierungsführung findet das Panel deutliche Worte und sagt, dass good governance und effektive Institutionen eine notwendige Bedingung für eine menschliche und nachhaltige Entwicklung ist. Drittens, die Ziele sind spezifisch: 12 Handlungsfelder (goals) werden mit insgesamt 54 spezifizierten und fast immer quantifizierten Unterzielen (targets) unterlegt, die bis 2030 erreicht werden sollen.

Mit den Zielen will das Panel jedoch nur illustrieren, mit welchen Prioritäten und Maßnahmen der große tiefgreifende Wandel („big transformative shift“) erreicht werden kann, der die Voraussetzung für einen anhaltenden globalen Wohlstand bildet. Dieser tiefgreifende Wandel sollte von fünf grundsätzlichen Entscheidungen angetrieben werden: (i) niemanden vom Wohlstand auszuschließen und Ziele erst dann als erreicht zu betrachten, wenn dies auch für die untersten Einkommensgruppen nachgewiesen ist; (ii) nachhaltige Entwicklung ins Zentrum zu stellen und Konsum- und Produktionsmuster so zu verändern, dass sie universalisierbar sind, (iii) Strukturen und Wachstum der Wirtschaft auf Beschäftigung im Rahmen nachhaltiger Innovationsstrategien zu orientieren, (iv) Frieden und gute Regierungsführung zu sichern und (v) eine neue globale Partnerschaft zur Umsetzung der Agenda aufzubauen, an der alle denkbaren Organisationen und Personen aktiv teilhaben, von Regierungen über zivilgesellschaftliche Organisationen, den Privatsektor bis zur Wissenschaft und privaten Stiftungen.

Damit ist klar, dass die neue globale Entwicklungsagenda kein Bereich ist, der getrost der Entwicklungspolitik und der internationalen Umweltpolitik überlassen werden kann. Will Deutschland die nun folgende globale Debatte aktiv mitgestalten, muss nicht nur neu darüber nachgedacht werden, wie innen- und außengerichtete Politiken besser verschränkt werden und die internationale Zusammenarbeit einbezogen werden können, sondern auch darüber, welchen übergeordneten Zielen sich konkurrierende Politiken (wie Klima und Energie) unterwerfen müssen.

Sind der Bericht und der vorgeschlagene Zielkatalog nun insgesamt überzeugend? Sie bilden auf jeden Fall eine gute Ausgangsposition für die notwendige Debatte darüber, wie wichtig den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die Armutsbekämpfung, die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen auf der Erde und die Umsetzung der Menschenrechte sind. Sollte es gelingen, diese Debatte gehaltvoll zu gestalten, könnte es auch gelingen, die Defizite des Vorschlags auszugleichen: Erstens erfordert eine auf Nachhaltigkeit und die Verschränkung globaler und nationaler Politiken angelegte Agenda erheblich größere Investitionen in die globale Kooperation als wir sie in den letzten Jahren, trotz oder wegen der Finanzkrise, gesehen haben. Sich auf gemeinsame Zielkorridore zu einigen und dann auf ambitionierte nationale Politiken zu hoffen, wird dafür nicht ausreichen. Auch müssen für eine wirksame Kooperation mit anderen gesellschaftlichen Akteuren klare langfristige rechtliche und ökonomische Signale gesetzt werden; zu mehr Mut für visionäres entschiedenes öffentliches Handeln ruft der Bericht jedoch nicht auf, sondern bleibt vage.

Zweitens müssen die dynamischen großen Schwellenländer bereits heute Verantwortung für die nachhaltige Transformation wirtschaftlicher Strukturen übernehmen und nicht erst, nachdem die Industrieländer mit gutem Beispiel vorangegangen sind. Sonst lässt sich bspw. der Aufbau energie- und emissionsintensiver Infrastrukturen nicht verhindern. Der Bericht ist hierzu widersprüchlich – in der Analyse benennt er diese Herausforderung, in den politischen Empfehlungen zu den nationalen Zielen, die sich einzelne Ländergruppen setzen sollten, lässt er genau diesen Bereich weg.

Drittens bergen freiwillige nationale Ziele einerseits das Risiko der Trittbrettfahrerei; jeder hofft darauf, dass der andere vorangeht. Andererseits ist es nicht möglich, Formeln für die Lastenverteilung in allen 12 Handlungsfeldern zu verhandeln. Wichtig wäre dies jedoch mindestens für jene Gefährdungen des Erdsystems, in denen schnelles gezieltes Handeln der großen Verursacher erforderlich ist, um irreversible Schäden wie den Klimawandel oder die Versauerung der Ozeane zu vermeiden. Es ist dringlich, präziser zu benennen, in welchen Fällen dies erforderlich ist und wie die Lasten verteil werden sollten, analog zu den Zielvorgaben des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) für die Treibhausgasemissionen (vgl. dazu die Action Agenda for Sustainable Development des Sustainable Development Solutions Network – SDSN).

Deutschland kann sowohl in nationaler wie auch internationaler Hinsicht einen zentralen Beitrag zu dieser globalen Entwicklungsagenda nach 2015 leisten: mit seiner Energiewende. Es wäre nur wichtig, die Energiewende auch so zu sehen: als innovative Politik, die einen starken Impuls für den globalen wirtschaftlichen Strukturwandel und die globale Kooperation setzen kann, und nicht als Nachteil in einem ökonomischen Wettbewerb, der sich an gestrigen Zielvorgaben abarbeitet.

Imme Scholz, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

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