DIE: Prioritäten bitte! Das UN-Umweltprogramm und die globale Nachhaltigkeitsagenda

Nach dem in vielfacher Hinsicht ernüchternden Rio+20-Gipfel im vergangenen Sommer machten sich vielerorts Frustration und Ermattung bezüglich der globalen Nachhaltigkeitsagenda breit. Inzwischen führt der Follow up-Prozess zur Umsetzung der in Rio zustande gebrachten Beschlüsse wieder zu reger Betriebsamkeit. Ein Beschluss darf ab sofort als umgesetzt gelten: Zu seinem ersten Treffen nach dem Gipfel tritt der Verwaltungsrat des UN-Umweltprogramms UNEP in dieser Woche erstmals in den vierzig Jahren seit seiner Gründung mit universeller Mitgliedschaft aller UN-Staaten zusammen. Ob dies der kleinen Behörde zu mehr politischem Gewicht gegenüber dem status quo ante (mit nur 58 und nach einem Regionalproporz rotierenden Mitgliedstaaten) verhelfen wird, wie es sich u.a. UNEP-Chef Achim Steiner und die Europäische Union erhoffen, wird sich zeigen.

Von übergeordnetem Interesse ist aktuell vor allem ein weiterer Auftrag des Gipfels: die Formulierung sogenannter Sustainable Development Goals (SDGs). Nachdem die Diskussion um konkrete Nachhaltigkeitsziele durch die Gründung einer entsprechenden UN-Arbeitsgruppe inzwischen erkennbar Fahrt aufgenommen hat, wird sie auch beim UNEP-Treffen im Rahmen eines „Runden Tisches“ auf Ministerebene prominent platziert sein. Tatsächlich ist das UN-Umweltprogramm der geeignete Ort, um in der noch wenig fokussierten internationalen Debatte angemessene umweltpolitische Schwerpunktsetzungen einzufordern und mit konkreten Zielvorschlägen zu unterfüttern. Den versammelten Umweltministern bietet es sogleich die Chance, das neue politische Gewicht des UNEP einem ernsthaften Lackmustest zu unterziehen.

Je nach Lesart sollen die SDGs die bewährten Millennium Development Goals (MDGs) ergänzen oder ersetzen, vor allem aber nach deren Vorbild explizite Zielvorgaben mit Zeitplänen versehen und objektiv messbare Indikatoren unterlegen. Was sie von den MDGs grundsätzlich unterscheidet, ist ihr universeller Anspruch: Während die ursprünglichen MDGs sich maßgeblich an Entwicklungsländer richten, sollen die SDGs globale Nachhaltigkeitsziele vorgeben, die von allen Ländern anzustreben sind. Das in Rio unter dem hochtrabenden Titel The Future We Want verabschiedete Schlussdokument blättert in diesem Sinne einen ebenso umfassenden wie diffusen Themenkatalog auf, der von Armutsbekämpfung über nachhaltigen Tourismus bis zu Gebirgen die Bedeutsamkeit aller erdenklichen umwelt- und entwicklungsrelevanten Problemfelder unterstreicht. Prioritätensetzung sieht anders aus.

Wenn nun die SDG-Arbeitsgruppe bis zur UN-Generalversammlung im September 2013 einen ersten Vorschlag für konkrete Nachhaltigkeitsziele machen soll, erscheint aber eine Prioritätensetzung auf wenige vordringliche Schwerpunkte dringend geboten. Die Fülle der gegenwärtig auf dem Tisch liegenden Themen ist symptomatisch für die Handlungslogik des Rio-Gipfels und die mangelhaften Fortschritte bei der Umsetzung globaler Nachhaltigkeitspolitik: es war leichter, die Gipfel-Erklärung in unverbindlicher Weise um jedermanns Lieblingsthema zu erweitern als einen Konsens über die drängendsten Problemfelder und Handlungsbedarfe herbeizuführen.
Um zu wirklich aussagekräftigen und handhabbaren SDGs zu gelangen, wäre es erfolgversprechender, die internationalen Debatten und Verhandlungen auf die Themenkomplexe zu konzentrieren, die aus Perspektive der globalen Nachhaltigkeitsagenda nicht nur wichtig, sondern in zweifacher Hinsicht besonders drängend sind: Erstens, weil die zu Grunde liegenden Trends irreversible Folgen haben werden und sich die Zeitfenster diesen entgegenzusteuern absehbar schließen werden; zweitens, weil sie gleichzeitig unabdingbare Voraussetzungen für nachhaltige Entwicklung betreffen.

Das gilt zuallererst für den Themenkomplex der Klima- und Energiepolitik. Nicht umsonst wurde der Rio+20-Gipfel in Medien und Öffentlichkeit häufig als „Weltklimagipfel“ wahrgenommen. Die Folgen des Klimawandels beeinträchtigen schon heute die Entwicklungsperspektiven in vielen Regionen, wobei Entwicklungsländer besonders betroffen sind. Eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und klimaschädlichen CO2-Emissionen ist ohne eine grundlegende Transformation der Energiesysteme, den Ausbau erneuerbarer Energien und größere Energieeffizienz nicht möglich. Gleichzeitig sind der Zugang zu modernen Energieformen und die Anpassung an den Klimawandel wesentliche Entwicklungsvoraussetzungen, speziell in armen Entwicklungsländern. In diesen grundsätzlichen Fragen besteht bereits ein breiter Konsens: alle 194 Mitgliedstaaten der Klimarahmenkonvention UNFCCC haben sich der Vermeidung eines gefährlichen Klimawandels verschrieben, gleichzeitig findet die von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon begründete Sustainable Energy 4 All Intiative international viel Zuspruch.

Weniger Beachtung findet bisher der kaum weniger kritische Zusammenhang von Landnutzung und Bodenschutz, der den Klimaschutz ebenso betrifft wie den Artenschutz und nicht zuletzt für die Frage der Welternährung von grundlegender Bedeutung ist. Diese bedarf angesichts einer weiter wachsenden Weltbevölkerung zwangsläufig einer steigenden Agrarproduktion. Gleichzeitig verbietet das Nachhaltigkeitsprinzip eine beliebige Ausdehnung landwirtschaftlicher Nutzflächen. Den weltweit steigenden Nahrungsmittelbedarf mittels einer intensiveren Bewirtschaftung bereits genutzter Produktionsflächen zu decken, ohne die betroffenen Böden dauerhaft zu degradieren, wird somit zu einer zentralen Herausforderung zukünftiger Nachhaltigkeitspolitik. Die grundlegenden Funktionen von Böden als Bindeglied zwischen Land- und Wasserressourcen, für die Bereitstellung lebenswichtiger Ökosystemdienstleistungen und ihre Bedeutung als Kohlenstoffspeicher sollten daher ebenfalls integraler Bestandteil einer ernst zu nehmenden SDG-Agenda sein.

Schließlich sollten in den SDGs dringend auch die Produktions- und Konsummuster der wohlhabenden Teile der Weltbevölkerung adressiert werden, denn nachhaltige Produktion und ein entsprechendes Konsumverhalten sind unabdingbar für eine nachhaltige globale Entwicklung. Konsequenterweise erfordert diese politisch brisante Einsicht konkrete Änderungen von Lebens- und Ernährungsstilen, um sowohl die Ressourcenintensität als auch die Umweltschäden von Produktion und Konsum deutlich zu verringern. Hier sind insbesondere die wohlhabenden Industrieländer und die aufstrebenden Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien und Südafrika, mit ihren rasant wachsenden Mittelschichten und Konsumansprüchen gefordert. Gerade diese beiden Ländergruppen müssen beweisen, dass sie im Sinne globaler Nachhaltigkeit willens und fähig sind, ihre eingefahrenen Produktions- und Konsummuster zu ändern. Von der Glaubwürdigkeit speziell solcher Signale wird abhängen, welche Perspektive die globale Nachhaltigkeitsagenda absehbar haben wird.

Will Deutschland sich als verlässlicher Fürsprecher globaler Nachhaltigkeit profilieren, dürfen diese sensiblen Handlungsfelder auch innenpolitisch nicht länger ausgespart werden. Ohne überzeugendes Handeln vor der eigenen Haustür werden sich speziell die aufstrebenden Entwicklungsökonomien kaum von einem entsprechenden Umdenken überzeugen lassen. Vor dem Hintergrund der international aufmerksam verfolgten Energiewende kann Deutschland mindestens im Bereich der Klima- und Energiepolitik eine Vorbildrolle beanspruchen. Bezüglich einer nachhaltigen globalen Landnutzungspolitik lässt sich dies kaum sagen: selbst bei der Umsetzung der europäischen Bodenschutzrichtlinie sind viele Fragen offen. Auch hinsichtlich der Gestaltungsmacht des neu formierten UNEP-Verwaltungsrats stimmt die Prioritätensetzung von Bundesumweltminister Altmaier eher skeptisch: er wird dem historischen UNEP-Treffen in Nairobi fernbleiben und überantwortete die Leitung der deutschen Delegation dem seinem Ministerium nachgeordneten Umweltbundesamt.

Autoren: Steffen Bauer und Carmen Richerzhagen

 

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Von übergeordnetem Interesse ist aktuell vor allem ein weiterer Auftrag des Gipfels: die Formulierung sogenannter Sustainable Development Goals (SDGs). Nachdem die Diskussion um konkrete Nachhaltigkeitsziele durch die Gründung einer entsprechenden UN-Arbeitsgruppe inzwischen erkennbar Fahrt aufgenommen hat, wird sie auch beim UNEP-Treffen im Rahmen eines „Runden Tisches“ auf Ministerebene prominent platziert sein. Tatsächlich ist das UN-Umweltprogramm der geeignete Ort, um in der noch wenig fokussierten internationalen Debatte angemessene umweltpolitische Schwerpunktsetzungen einzufordern und mit konkreten Zielvorschlägen zu unterfüttern. Den versammelten Umweltministern bietet es sogleich die Chance, das neue politische Gewicht des UNEP einem ernsthaften Lackmustest zu unterziehen.

Je nach Lesart sollen die SDGs die bewährten Millennium Development Goals (MDGs) ergänzen oder ersetzen, vor allem aber nach deren Vorbild explizite Zielvorgaben mit Zeitplänen versehen und objektiv messbare Indikatoren unterlegen. Was sie von den MDGs grundsätzlich unterscheidet, ist ihr universeller Anspruch: Während die ursprünglichen MDGs sich maßgeblich an Entwicklungsländer richten, sollen die SDGs globale Nachhaltigkeitsziele vorgeben, die von allen Ländern anzustreben sind. Das in Rio unter dem hochtrabenden Titel The Future We Want verabschiedete Schlussdokument blättert in diesem Sinne einen ebenso umfassenden wie diffusen Themenkatalog auf, der von Armutsbekämpfung über nachhaltigen Tourismus bis zu Gebirgen die Bedeutsamkeit aller erdenklichen umwelt- und entwicklungsrelevanten Problemfelder unterstreicht. Prioritätensetzung sieht anders aus.

Wenn nun die SDG-Arbeitsgruppe bis zur UN-Generalversammlung im September 2013 einen ersten Vorschlag für konkrete Nachhaltigkeitsziele machen soll, erscheint aber eine Prioritätensetzung auf wenige vordringliche Schwerpunkte dringend geboten. Die Fülle der gegenwärtig auf dem Tisch liegenden Themen ist symptomatisch für die Handlungslogik des Rio-Gipfels und die mangelhaften Fortschritte bei der Umsetzung globaler Nachhaltigkeitspolitik: es war leichter, die Gipfel-Erklärung in unverbindlicher Weise um jedermanns Lieblingsthema zu erweitern als einen Konsens über die drängendsten Problemfelder und Handlungsbedarfe herbeizuführen.
Um zu wirklich aussagekräftigen und handhabbaren SDGs zu gelangen, wäre es erfolgversprechender, die internationalen Debatten und Verhandlungen auf die Themenkomplexe zu konzentrieren, die aus Perspektive der globalen Nachhaltigkeitsagenda nicht nur wichtig, sondern in zweifacher Hinsicht besonders drängend sind: Erstens, weil die zu Grunde liegenden Trends irreversible Folgen haben werden und sich die Zeitfenster diesen entgegenzusteuern absehbar schließen werden; zweitens, weil sie gleichzeitig unabdingbare Voraussetzungen für nachhaltige Entwicklung betreffen.

Das gilt zuallererst für den Themenkomplex der Klima- und Energiepolitik. Nicht umsonst wurde der Rio+20-Gipfel in Medien und Öffentlichkeit häufig als „Weltklimagipfel“ wahrgenommen. Die Folgen des Klimawandels beeinträchtigen schon heute die Entwicklungsperspektiven in vielen Regionen, wobei Entwicklungsländer besonders betroffen sind. Eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und klimaschädlichen CO2-Emissionen ist ohne eine grundlegende Transformation der Energiesysteme, den Ausbau erneuerbarer Energien und größere Energieeffizienz nicht möglich. Gleichzeitig sind der Zugang zu modernen Energieformen und die Anpassung an den Klimawandel wesentliche Entwicklungsvoraussetzungen, speziell in armen Entwicklungsländern. In diesen grundsätzlichen Fragen besteht bereits ein breiter Konsens: alle 194 Mitgliedstaaten der Klimarahmenkonvention UNFCCC haben sich der Vermeidung eines gefährlichen Klimawandels verschrieben, gleichzeitig findet die von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon begründete Sustainable Energy 4 All Intiative international viel Zuspruch.

Weniger Beachtung findet bisher der kaum weniger kritische Zusammenhang von Landnutzung und Bodenschutz, der den Klimaschutz ebenso betrifft wie den Artenschutz und nicht zuletzt für die Frage der Welternährung von grundlegender Bedeutung ist. Diese bedarf angesichts einer weiter wachsenden Weltbevölkerung zwangsläufig einer steigenden Agrarproduktion. Gleichzeitig verbietet das Nachhaltigkeitsprinzip eine beliebige Ausdehnung landwirtschaftlicher Nutzflächen. Den weltweit steigenden Nahrungsmittelbedarf mittels einer intensiveren Bewirtschaftung bereits genutzter Produktionsflächen zu decken, ohne die betroffenen Böden dauerhaft zu degradieren, wird somit zu einer zentralen Herausforderung zukünftiger Nachhaltigkeitspolitik. Die grundlegenden Funktionen von Böden als Bindeglied zwischen Land- und Wasserressourcen, für die Bereitstellung lebenswichtiger Ökosystemdienstleistungen und ihre Bedeutung als Kohlenstoffspeicher sollten daher ebenfalls integraler Bestandteil einer ernst zu nehmenden SDG-Agenda sein.

Schließlich sollten in den SDGs dringend auch die Produktions- und Konsummuster der wohlhabenden Teile der Weltbevölkerung adressiert werden, denn nachhaltige Produktion und ein entsprechendes Konsumverhalten sind unabdingbar für eine nachhaltige globale Entwicklung. Konsequenterweise erfordert diese politisch brisante Einsicht konkrete Änderungen von Lebens- und Ernährungsstilen, um sowohl die Ressourcenintensität als auch die Umweltschäden von Produktion und Konsum deutlich zu verringern. Hier sind insbesondere die wohlhabenden Industrieländer und die aufstrebenden Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien und Südafrika, mit ihren rasant wachsenden Mittelschichten und Konsumansprüchen gefordert. Gerade diese beiden Ländergruppen müssen beweisen, dass sie im Sinne globaler Nachhaltigkeit willens und fähig sind, ihre eingefahrenen Produktions- und Konsummuster zu ändern. Von der Glaubwürdigkeit speziell solcher Signale wird abhängen, welche Perspektive die globale Nachhaltigkeitsagenda absehbar haben wird.

Will Deutschland sich als verlässlicher Fürsprecher globaler Nachhaltigkeit profilieren, dürfen diese sensiblen Handlungsfelder auch innenpolitisch nicht länger ausgespart werden. Ohne überzeugendes Handeln vor der eigenen Haustür werden sich speziell die aufstrebenden Entwicklungsökonomien kaum von einem entsprechenden Umdenken überzeugen lassen. Vor dem Hintergrund der international aufmerksam verfolgten Energiewende kann Deutschland mindestens im Bereich der Klima- und Energiepolitik eine Vorbildrolle beanspruchen. Bezüglich einer nachhaltigen globalen Landnutzungspolitik lässt sich dies kaum sagen: selbst bei der Umsetzung der europäischen Bodenschutzrichtlinie sind viele Fragen offen. Auch hinsichtlich der Gestaltungsmacht des neu formierten UNEP-Verwaltungsrats stimmt die Prioritätensetzung von Bundesumweltminister Altmaier eher skeptisch: er wird dem historischen UNEP-Treffen in Nairobi fernbleiben und überantwortete die Leitung der deutschen Delegation dem seinem Ministerium nachgeordneten Umweltbundesamt.

Autoren: Steffen Bauer und Carmen Richerzhagen

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