Der Zins wird von vielen als Ursache für den Zwang zu Wachstum gesehen. Sind Wirtschaft und Gesellschaft ohne Zins denkbar? Wie kommt es zu Zinsen? Was bestimmt ihre Höhe? Verursacht das Zinssystem wirklich Wachstumszwänge?
Diese und ähnliche Fragen wurden am 19. Juli 2012 auf einem Workshop in Bonn mit Experten diskutiert.
Wichtige Ergebnisse:
- Die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist auf Wachstum angelegt. Da einiges dafür spricht, dass Wachstum künftig ausbleibt, muss geklärt werden, wie unter diesen Bedingungen die Geldwirtschaft funktionsfähig bleibt.
- Zinsen erzeugen Wachstumszwänge, wenn die Sparquote größer als Null ist. Dann muss die Wirtschaft wachsen, um Zinszahlungen zu ermöglichen. Würden hingegen Arbeits- und Kapitaleinkommen vollständig konsumiert, entstünde ohne andere Wachstumstreiber kein Wachstumszwang und das BIP bliebe konstant. Theoretisch ist ein Zustand denkbar, in dem sich Wirtschaftswachstum, Sparquote und Realzinsen im Mittel nahe Null oder bei Null einpendeln. Empirisch gibt es Anzeichen dafür, dass sich die früh industrialisierten Länder diesem Zustand nähern.
- Mindestens ebenso stark treiben technischer Fortschritt, vor allem aber steigender Ressourcenverbrauch sowie die so genannte Fortschrittskultur das Wachstum der Wirtschaft an.
- Liegen die Realzinsen dauerhaft über der realwirtschaftlichen Wachstumsrate, ist also das Zins-Wachstums-Differential positiv, kommt es zu Blasenbildung und früher oder später zum Crash. Ein Teil der Teilnehmer macht hierfür allerdings in erster Linie die Politik verantwortlich, die, um schmerzhafte Anpassungen zu vermeiden, das Wachstum künstlich hochhalten will.
- Offen bleibt, ob die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung fortbesteht, wenn das Wachstum ausbleibt. Während einige Teilnehmer die Auffassung vertreten, dass die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht ohne Wachstum existieren kann, halten andere diese Ordnung für anpassungsfähig.
- In letzterem Fall sind zwei Szenarien denkbar: Wettbewerb und Verteilungskämpfe gewinnen an Schärfe oder die Gesellschaft wird “entschleunigt” und materielle Wohlstandsverluste werden durch immaterielle Wohlstandsformen kompensiert. Dies würde allerdings einen grundlegenden Bewusstseinswandel voraussetzen.
- Strittig ist, wie sich der Staat unter Bedingungen stagnierender bzw. sinkender Wirtschaftskraft verhalten soll. Einige Teilnehmer plädieren für möglichst wenige Eingriffe, die sich auf den Schutz der Umwelt und die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts beschränken. Andere fordern mehr staatliche Eingriffe als heute, die auch die Geldschöpfung umfassen sollten.
- Durch stark progressive Besteuerung von Einkommen, um die Sparquote zu reduzieren, Kapitalverkehrskontrollen, Zwangsanleihen, Besteuerung von Finanztransaktionen und Regionalwährungen könnten Wachstumszwänge des Geld- und Kreditsystems beseitigt werden. Allerdings haben diese Vorschläge alle Nachteile und bergen nicht unerhebliche Risiken.
- Wachstumszwänge, die durch andere Faktoren verursacht werden, könnten beseitigt werden, indem unter anderem externe Effekte eingepreist und Ressourcennutzungsgebühren erhoben werden sowie Bewusstsein für die negativen Folgen der gegenwärtigen Wirtschafts- und Lebensweisen geschaffen wird. Letzteres gilt auch für Unternehmen.
PressemitteilungDer Zins wird von vielen als Ursache für den Zwang zu Wachstum gesehen. Sind Wirtschaft und Gesellschaft ohne Zins denkbar? Wie kommt es zu Zinsen? Was bestimmt ihre Höhe? Verursacht das Zinssystem wirklich Wachstumszwänge?
Diese und ähnliche Fragen wurden am 19. Juli 2012 auf einem Workshop in Bonn mit Experten diskutiert.
Wichtige Ergebnisse:
- Die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist auf Wachstum angelegt. Da einiges dafür spricht, dass Wachstum künftig ausbleibt, muss geklärt werden, wie unter diesen Bedingungen die Geldwirtschaft funktionsfähig bleibt.
- Zinsen erzeugen Wachstumszwänge, wenn die Sparquote größer als Null ist. Dann muss die Wirtschaft wachsen, um Zinszahlungen zu ermöglichen. Würden hingegen Arbeits- und Kapitaleinkommen vollständig konsumiert, entstünde ohne andere Wachstumstreiber kein Wachstumszwang und das BIP bliebe konstant. Theoretisch ist ein Zustand denkbar, in dem sich Wirtschaftswachstum, Sparquote und Realzinsen im Mittel nahe Null oder bei Null einpendeln. Empirisch gibt es Anzeichen dafür, dass sich die früh industrialisierten Länder diesem Zustand nähern.
- Mindestens ebenso stark treiben technischer Fortschritt, vor allem aber steigender Ressourcenverbrauch sowie die so genannte Fortschrittskultur das Wachstum der Wirtschaft an.
- Liegen die Realzinsen dauerhaft über der realwirtschaftlichen Wachstumsrate, ist also das Zins-Wachstums-Differential positiv, kommt es zu Blasenbildung und früher oder später zum Crash. Ein Teil der Teilnehmer macht hierfür allerdings in erster Linie die Politik verantwortlich, die, um schmerzhafte Anpassungen zu vermeiden, das Wachstum künstlich hochhalten will.
- Offen bleibt, ob die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung fortbesteht, wenn das Wachstum ausbleibt. Während einige Teilnehmer die Auffassung vertreten, dass die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht ohne Wachstum existieren kann, halten andere diese Ordnung für anpassungsfähig.
- In letzterem Fall sind zwei Szenarien denkbar: Wettbewerb und Verteilungskämpfe gewinnen an Schärfe oder die Gesellschaft wird “entschleunigt” und materielle Wohlstandsverluste werden durch immaterielle Wohlstandsformen kompensiert. Dies würde allerdings einen grundlegenden Bewusstseinswandel voraussetzen.
- Strittig ist, wie sich der Staat unter Bedingungen stagnierender bzw. sinkender Wirtschaftskraft verhalten soll. Einige Teilnehmer plädieren für möglichst wenige Eingriffe, die sich auf den Schutz der Umwelt und die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts beschränken. Andere fordern mehr staatliche Eingriffe als heute, die auch die Geldschöpfung umfassen sollten.
- Durch stark progressive Besteuerung von Einkommen, um die Sparquote zu reduzieren, Kapitalverkehrskontrollen, Zwangsanleihen, Besteuerung von Finanztransaktionen und Regionalwährungen könnten Wachstumszwänge des Geld- und Kreditsystems beseitigt werden. Allerdings haben diese Vorschläge alle Nachteile und bergen nicht unerhebliche Risiken.
- Wachstumszwänge, die durch andere Faktoren verursacht werden, könnten beseitigt werden, indem unter anderem externe Effekte eingepreist und Ressourcennutzungsgebühren erhoben werden sowie Bewusstsein für die negativen Folgen der gegenwärtigen Wirtschafts- und Lebensweisen geschaffen wird. Letzteres gilt auch für Unternehmen.