Entwicklungspolitik war in der Vergangenheit immer ein bisschen so wie der rheinische Karneval: Im Eifer christlicher Nächstenliebe konnte man über das Maß zugeführter Liquidität schon mal den Überblick verlieren, und die Wirkung des eigenen Handelns verlor sich nach anfänglichem Wohlbefinden gerne im Nebel eingeschränkter Wahrnehmung. Daher haben nüchterne Köpfe die Budgethilfe erfunden. Sie ist gewissermaßen die protestantische Antwort auf das närrische Treiben der Entwicklungskarnevalisten. Statt Arm in Arm mit dem Partner fröhlich einer vermeintlich besseren Zukunft entgegenzuwanken, wird nun das Portemonnaie gezückt, man schaut dem Gegenüber ernst in die Augen und sagt: “Hier hast Du zehn Euro, aber versprich mir, dass Du damit keinen Quatsch machst!“
Und das funktioniert? Im Prinzip schon, aber was ist eigentlich das Prinzip? Hierfür müssen wir etwas weiter ausholen, denn die Vorstellungen, wie Entwicklungshilfe (darf man heute wieder so nennen) funktioniert, haben sich im Lauf der Zeit geändert.
Am Anfang glaubte man, gewissermaßen mit Habermas, an den „zwanglosen Zwang“ des besseren Arguments. Entwicklungspolitik nahm an, dass ihre Modelle und Methoden grundsätzlich vernünftig und darum auch für den Partner attraktiv seien. Es ging nur darum, den Politikern vor Ort die Vernünftigkeit dieser Ansätze nahe zu bringen, damit sie sich dann quasi automatisch verbreiten würden. Klingt naiv, findet sich aber immer noch erstaunlich oft in den Köpfen der Verantwortlichen, weswegen sie bis heute auch „Experten“ genannt werden.
Um den ganzen Prozess zu befördern, erfand die Entwicklungspolitik anschließend zwei fantastische Konzepte: Den Entwicklungspol und die Pilotstudie. Beides folgte der Idee, dass Modernisierungsimpulse an einer Stelle zu Nachahmungseffekten an anderen Stellen im System führen würden, sobald die Überlegenheit der eingeführten Ansätze deutlich geworden war. So sollten aus Inseln der Innovation irgendwann Archipele bzw. ganze Kontinente des Fortschritts werden.
Bis heute macht die Entwicklungspolitik immer noch gerne Pilotstudien und lebt damit ihren Spieltrieb aus. Aber allmählich wuchs die Skepsis, ob die Sache mit den Nachahmungseffekten wirklich so ein Selbstläufer war. Das Problem sah man allerdings eher in reformresistenten Eliten in den Empfängerländern und falschen Anreizen, weniger im eigenen Tun und Handeln.
Also erfand man als nächstes den Kung-Fu-Ansatz. Die Idee war folgende: Weil man nicht immer mit günstigen Bedingungen rechnen kann, soll jede Möglichkeit genutzt werden, um Reformen umzusetzen. Dies geschieht über breit aufgestellte Programme mit so vielen Partnern, dass zeitweilige Blockaden an einer Stelle durch Fortschritte an einer anderen Stelle kompensiert werden können. Wie beim Kung-Fu sollen viele Einzeltreffer zu nachhaltiger Wirkung führen. Und wenn alle Geber gemeinsam hinlangen, müsste doch auch der renitenteste Entwicklungsverweigerer zur Vernunft gebracht werden können, oder?
Das mit der Geberkoordination blieb aber eher ein frommer Wunsch. Heute sind wir mühsam dabei, uns von der Vorstellung zu verabschieden, dass Entwicklung durch externe Einflussnahme herbeigeführt werden kann. Viele hat das ins Grübeln gebracht: Welche Rolle spielen wir auf dem Segelschiff der Entwicklung: Wenn wir nicht der Kapitän sind, der zur Wende befiehlt, sind wir dann wenigstens der Smutje, der fürs leibliche Wohl der Besatzung sorgt – oder doch nur der Leichtmatrose, der zum Segelsetzen in die Wanten muss?
Mit der Budgethilfe löst sich das Problem auf wunderbare Weise, denn die Entwicklungspolitik wird gewissermaßen zum Charteragenten: Wer zahlt, bestimmt, wo die Reise hingehen soll. Eine tolle Idee! Solange Kurs und Ladung stimmen, kann der Skipper ruhig machen, was er will. In der Entwicklungspolitik heißt das Ownership, deutsche Steuerbehörden sprechen bei solchen Konstellationen gerne auch von Scheinselbständigkeit.
Nun sind Regierungen in den Partnerländern auch nicht mehr das, was sie mal waren. Viele haben mittlerweile gemerkt, dass Entwicklungsgelder von unterschiedlichen Gebern mit unterschiedlichen Motiven gewährt werden. Wenn jetzt z. B. ein vereinbartes Ziel mal nicht erreicht wurde, wird Geber 1 vielleicht die Mittel kürzen, weil ihm sein Parlament im Nacken sitzt, aber Geber 2 lässt sich womöglich überzeugen, seine Unterstützung sogar noch zu erhöhen, damit das im nächsten Jahr besser klappt. Besonders pikant wird es, wenn Geber 2 seine Budgethilfe u. a. mit Beiträgen von Geber 1 finanziert. Und Geber 3 interessiert sich ohnehin nicht für dieses Ziel, sondern legt ganz andere Maßstäbe an. Sowas soll schon beobachtet worden sein und hat bei manchen Entwicklungspolitikern für eine gewisse Ernüchterung bei der Budgethilfe gesorgt.
Aber Aschermittwoch ist noch weit, und der Tatendrang unserer Elferräte immer noch groß. Wenn es für die Partnerregierungen so einfach ist, die Geber gegeneinander auszuspielen, dann lasst uns doch den Spieß einfach umdrehen: Statt zu zahlen, damit etwas passiert, zahlen wir erst, wenn etwas passiert. Erst kommt die Entwicklung, dann die Belohnung. „Aid on delivery“ nennt sich das, und es verspricht, noch viel prächtiger zu funktionieren als alle Konzepte der Vergangenheit.
Der Gedanke besticht: Man vereinbart ein Entwicklungsziel und zahlt dann, wenn das Ziel erreicht wurde. Das sollten natürlich möglichst keine langwierigen, komplizierten Dinge wie Demokratie, Korruptionsbekämpfung, Menschenrechte o. ä. sein, denn welche Regierung hat schon Lust, sich anzustrengen, damit die Nachfolgeregierung in den Genuss zusätzlicher Mittel kommt? Knackige, konkrete Vereinbarungen, die innerhalb einer Legislaturperiode abgearbeitet werden können – das nützt beiden Seiten, und irgendwo sollte bitte auch „Made in Germany“ draufstehen, denn zu Hause wird schließlich auch gewählt.
Außerdem hat Aid on delivery den weiteren großen Vorteil, protestantische Arbeitsethik mit katholischem Karnevalsgeist aufs Schönste zu verbinden: Denn die Mittel, die dem Partner nach Zielerreichung zufließen, kann er dann ja nach eigenem Gutdünken verwenden, oder nicht? Wir können natürlich hoffen, dass er das Geld sinnvoll ausgeben wird, sollten da aber auch nicht zu vertrauensselig sein. Im Rheinland weiß man, wie das ist: Die Leute klotzen ran, dann ist Zahltag und übers Wochenende wird das ganze Geld auf den Kopf gehauen. Preußische Pflichterfüllung in Verbindung mit rheinischem laissez-vivre: Hier wird das deutsche Regierungsmodell zum Exportschlager.
Von Dr. Christian von Haldenwang, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)
© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Bonn.
KolumneEntwicklungspolitik war in der Vergangenheit immer ein bisschen so wie der rheinische Karneval: Im Eifer christlicher Nächstenliebe konnte man über das Maß zugeführter Liquidität schon mal den Überblick verlieren, und die Wirkung des eigenen Handelns verlor sich nach anfänglichem Wohlbefinden gerne im Nebel eingeschränkter Wahrnehmung. Daher haben nüchterne Köpfe die Budgethilfe erfunden. Sie ist gewissermaßen die protestantische Antwort auf das närrische Treiben der Entwicklungskarnevalisten. Statt Arm in Arm mit dem Partner fröhlich einer vermeintlich besseren Zukunft entgegenzuwanken, wird nun das Portemonnaie gezückt, man schaut dem Gegenüber ernst in die Augen und sagt: “Hier hast Du zehn Euro, aber versprich mir, dass Du damit keinen Quatsch machst!“
Und das funktioniert? Im Prinzip schon, aber was ist eigentlich das Prinzip? Hierfür müssen wir etwas weiter ausholen, denn die Vorstellungen, wie Entwicklungshilfe (darf man heute wieder so nennen) funktioniert, haben sich im Lauf der Zeit geändert.
Am Anfang glaubte man, gewissermaßen mit Habermas, an den „zwanglosen Zwang“ des besseren Arguments. Entwicklungspolitik nahm an, dass ihre Modelle und Methoden grundsätzlich vernünftig und darum auch für den Partner attraktiv seien. Es ging nur darum, den Politikern vor Ort die Vernünftigkeit dieser Ansätze nahe zu bringen, damit sie sich dann quasi automatisch verbreiten würden. Klingt naiv, findet sich aber immer noch erstaunlich oft in den Köpfen der Verantwortlichen, weswegen sie bis heute auch „Experten“ genannt werden.
Um den ganzen Prozess zu befördern, erfand die Entwicklungspolitik anschließend zwei fantastische Konzepte: Den Entwicklungspol und die Pilotstudie. Beides folgte der Idee, dass Modernisierungsimpulse an einer Stelle zu Nachahmungseffekten an anderen Stellen im System führen würden, sobald die Überlegenheit der eingeführten Ansätze deutlich geworden war. So sollten aus Inseln der Innovation irgendwann Archipele bzw. ganze Kontinente des Fortschritts werden.
Bis heute macht die Entwicklungspolitik immer noch gerne Pilotstudien und lebt damit ihren Spieltrieb aus. Aber allmählich wuchs die Skepsis, ob die Sache mit den Nachahmungseffekten wirklich so ein Selbstläufer war. Das Problem sah man allerdings eher in reformresistenten Eliten in den Empfängerländern und falschen Anreizen, weniger im eigenen Tun und Handeln.
Also erfand man als nächstes den Kung-Fu-Ansatz. Die Idee war folgende: Weil man nicht immer mit günstigen Bedingungen rechnen kann, soll jede Möglichkeit genutzt werden, um Reformen umzusetzen. Dies geschieht über breit aufgestellte Programme mit so vielen Partnern, dass zeitweilige Blockaden an einer Stelle durch Fortschritte an einer anderen Stelle kompensiert werden können. Wie beim Kung-Fu sollen viele Einzeltreffer zu nachhaltiger Wirkung führen. Und wenn alle Geber gemeinsam hinlangen, müsste doch auch der renitenteste Entwicklungsverweigerer zur Vernunft gebracht werden können, oder?
Das mit der Geberkoordination blieb aber eher ein frommer Wunsch. Heute sind wir mühsam dabei, uns von der Vorstellung zu verabschieden, dass Entwicklung durch externe Einflussnahme herbeigeführt werden kann. Viele hat das ins Grübeln gebracht: Welche Rolle spielen wir auf dem Segelschiff der Entwicklung: Wenn wir nicht der Kapitän sind, der zur Wende befiehlt, sind wir dann wenigstens der Smutje, der fürs leibliche Wohl der Besatzung sorgt – oder doch nur der Leichtmatrose, der zum Segelsetzen in die Wanten muss?
Mit der Budgethilfe löst sich das Problem auf wunderbare Weise, denn die Entwicklungspolitik wird gewissermaßen zum Charteragenten: Wer zahlt, bestimmt, wo die Reise hingehen soll. Eine tolle Idee! Solange Kurs und Ladung stimmen, kann der Skipper ruhig machen, was er will. In der Entwicklungspolitik heißt das Ownership, deutsche Steuerbehörden sprechen bei solchen Konstellationen gerne auch von Scheinselbständigkeit.
Nun sind Regierungen in den Partnerländern auch nicht mehr das, was sie mal waren. Viele haben mittlerweile gemerkt, dass Entwicklungsgelder von unterschiedlichen Gebern mit unterschiedlichen Motiven gewährt werden. Wenn jetzt z. B. ein vereinbartes Ziel mal nicht erreicht wurde, wird Geber 1 vielleicht die Mittel kürzen, weil ihm sein Parlament im Nacken sitzt, aber Geber 2 lässt sich womöglich überzeugen, seine Unterstützung sogar noch zu erhöhen, damit das im nächsten Jahr besser klappt. Besonders pikant wird es, wenn Geber 2 seine Budgethilfe u. a. mit Beiträgen von Geber 1 finanziert. Und Geber 3 interessiert sich ohnehin nicht für dieses Ziel, sondern legt ganz andere Maßstäbe an. Sowas soll schon beobachtet worden sein und hat bei manchen Entwicklungspolitikern für eine gewisse Ernüchterung bei der Budgethilfe gesorgt.
Aber Aschermittwoch ist noch weit, und der Tatendrang unserer Elferräte immer noch groß. Wenn es für die Partnerregierungen so einfach ist, die Geber gegeneinander auszuspielen, dann lasst uns doch den Spieß einfach umdrehen: Statt zu zahlen, damit etwas passiert, zahlen wir erst, wenn etwas passiert. Erst kommt die Entwicklung, dann die Belohnung. „Aid on delivery“ nennt sich das, und es verspricht, noch viel prächtiger zu funktionieren als alle Konzepte der Vergangenheit.
Der Gedanke besticht: Man vereinbart ein Entwicklungsziel und zahlt dann, wenn das Ziel erreicht wurde. Das sollten natürlich möglichst keine langwierigen, komplizierten Dinge wie Demokratie, Korruptionsbekämpfung, Menschenrechte o. ä. sein, denn welche Regierung hat schon Lust, sich anzustrengen, damit die Nachfolgeregierung in den Genuss zusätzlicher Mittel kommt? Knackige, konkrete Vereinbarungen, die innerhalb einer Legislaturperiode abgearbeitet werden können – das nützt beiden Seiten, und irgendwo sollte bitte auch „Made in Germany“ draufstehen, denn zu Hause wird schließlich auch gewählt.
Außerdem hat Aid on delivery den weiteren großen Vorteil, protestantische Arbeitsethik mit katholischem Karnevalsgeist aufs Schönste zu verbinden: Denn die Mittel, die dem Partner nach Zielerreichung zufließen, kann er dann ja nach eigenem Gutdünken verwenden, oder nicht? Wir können natürlich hoffen, dass er das Geld sinnvoll ausgeben wird, sollten da aber auch nicht zu vertrauensselig sein. Im Rheinland weiß man, wie das ist: Die Leute klotzen ran, dann ist Zahltag und übers Wochenende wird das ganze Geld auf den Kopf gehauen. Preußische Pflichterfüllung in Verbindung mit rheinischem laissez-vivre: Hier wird das deutsche Regierungsmodell zum Exportschlager.
Von Dr. Christian von Haldenwang, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)