Bonn-Voices - Wiegandt Notizzettel

Sehr geehrter Herr Prof. Wiegandt, was bedeutet für Sie als Stadtforscher der Begriff Nachhaltigkeit?

Nachhaltigkeit ist für mich zunächst eine gesamtgesellschaftliche Leitvorstellung, die darauf zielt, dass wir heute nicht auf Kosten der nachfolgenden Generationen und nicht auf Kosten der Länder des Südens leben. Um diese globale Leitvorstellung einzulösen, kann die deutsche Stadtentwicklungspolitik einen Beitrag leisten, indem sie möglichst umweltverträglich und ressourcenschonend ausgerichtet ist. Dies bedeutet, möglichst dichte und gemischte Stadtstrukturen zu schaffen bzw. zu erhalten. Damit würden Voraussetzungen für weniger Verkehr und weniger Flächenverbrauch geschaffen. Auch Stadtquartiere, die einseitig auf eine Funktion oder eine soziale Gruppe ausgerichtet sind, sollten nicht das Ziel der Planung sein. Hier gilt es, eine Balance zwischen den Anforderungen an neuem Wohnraum und dem Ziel des flächensparenden Bauens in schnell wachsenden Stadtregionen wie etwa Bonn zu finden. Zudem gilt es, ein Auseinanderdriften der Gesellschaft zu verhindern. Damit ist auch das Thema der sozialen Mischung in unseren Städten angesprochen.

Sie arbeiten an einem Projekt, dass sich mit sogenannten „Smart Cities“ beschäftigt. Wie kann eine webbasierte Stadtentwicklung eine nachhaltigere Lebensart begünstigen?

Smart Cities sind ein noch recht junges Zauberwort in der Stadtentwicklungspolitik, dass seit etwa zehn Jahren genutzt wird. Hier geht es um den Einsatz der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in der Stadtentwicklung, also zunächst einmal um den weiteren Ausbau von Festnetz und Mobilfunk. Darauf aufbauend sind dann – und dies ist wesentlich – zum ersten neue Formen der direkten Kommunikation zwischen einzelnen Nutzern etwa per E-Mail oder WhatsApp zentral, zum zweiten der jederzeitige Zugriff auf eine Fülle von Informationen im Internet und zum dritten schließlich das eigene Einstellen von Informationen ins Netz durch den Nutzer selbst. In meinen Arbeiten sind diese drei Punkte wichtig für die Kommunikation unter den verschiedenen Akteuren bei der Gestaltung von Städten. Hier bearbeiten wir derzeit ein Forschungsprojekt, das sich mit den Folgen der neuen Kommunikationsmöglichkeiten für die Bürgerbeteiligung beschäftigt und die Chancen auslotet, den Gedanken der Nachhaltigkeit noch besser einzubringen. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien werden aber auch in anderen Bereichen der Stadtentwicklung eingesetzt. So erleichtern sie beispielsweise das Car-Sharing und ermöglichen damit einen effizienteren Stadtverkehr. Oder der Smart Meter bietet etwa neue Möglichkeiten, den Stromverbrauch direkt abzulesen und ihn dadurch zu reduzieren. Beschwerdeplattformen werden im Netz eingerichtet und können die alltäglichen Probleme im öffentlichen Raum schneller lösen. Alle Lebensbereiche sind durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien betroffen, wobei dies jedoch nicht zwingend zu einer nachhaltigen Lebensweise führen muss. E-Commerce führt beispielsweise nicht zwangsläufig zu weniger Verkehr.

Welche Rolle spielt eine zunehmende Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in Entscheidungsprozesse für die nachhaltige Stadt der Zukunft?

Wir untersuchen derzeit die Rolle der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in der Bürgerbeteiligung. Dabei unterscheiden wir die eher klassische Bürgerbeteiligung, die von den Städten selbst ausgeht, von den vielfältigen Initiativen, die engagierte Bürgerinnen und Bürger mit Hilfe der neuen Technologien selbst starten. Bei den Beteiligungsprozessen, die von den Städten ausgehen, möchten die Kommunen zunehmend wissen, wie sich ihre Bürgerinnen und Bürger zukünftige Stadtgestaltung vorstellen und fragen daher nach ihren Ideen und Vorstellungen. Dies muss nicht zwangsläufig zu einer nachhaltigeren Stadtentwicklung im Sinne einer umweltverträglichen und ressourcenschonenden Stadtentwicklung führen, da hier auch andere Interessen eingehen können. Nachhaltig können diese Entscheidungsprozesse aber im Verfahren dadurch sein, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht an bestimmte Zeiten der Bürgerveranstaltungen gebunden sind und sich dadurch breiter beteiligen können. Online-Bürgerbeteiligungen werden von den Städten auch für umstrittene Einzelvorhaben durchgeführt, um Informationen bereit zu stellen und die Transparenz zu erhöhen. Bei der Beteiligung im Verkehrsbereich scheint die Entwicklung der Fahrradinfrastruktur ein besonders geeignetes Beteiligungsfeld zu sein. Bei Beteiligungsprozessen aus der Bürgerschaft heraus spielen politisch bereits beschlossene städtebauliche Veränderungen eine wichtige Rolle. Hier geht es häufig darum, geplante Vorhaben zu verhindern. Schwer zu unterscheiden sind hier die individuellen von den gesamtstädtischen Interessen. Denn oft beruht der Protest darauf, Vorhaben in der unmittelbaren Nachbarschaft zu verhindern und damit eigene Nachteile abzuwehren. Es geht aber durchaus auch darum, auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam zu machen und Ziele der Nachhaltigkeit zu verfolgen. Dabei ist auch an Aktionen im Stadtraum zu denken, die durch webbasierte Medien beworben und koordiniert werden.

Wie sieht in Ihren Augen eine nachhaltige und zukunftsorientierte Stadt Bonn im Jahr 2030 aus?

In meinen Augen sollte eine nachhaltige und zukunftsorientierte Stadt Bonn einen Beitrag zur Einlösung der globalen Nachhaltigkeitsziele leisten. Entscheidend dürfte dabei sein, dass die Bürgerinnen und Bürger hinter diesen Zielen stehen und sich mit ihnen auch wirklich identifizieren. Deshalb sind Information und Aufklärung ganz wesentlich – und hier können die erwähnten Bürgerbeteiligungsprozesse eine wichtige Rolle spielen. Darüber hinaus sind die Eltern und Schulen gefordert, bereits in der Ausbildung unserer Kinder die Leitvorstellungen der Nachhaltigkeit zu vermitteln.

Was motiviert Sie morgens und wie denken Sie abends darüber nach?

Ich habe das Glück, dass meine Arbeitstage recht abwechslungsreich sind. So gibt es Tage, an denen ich mich morgens darauf freue, mit meinen Studierenden über immer neue Fragen der Stadtentwicklung zu diskutieren. Morgen geht es etwa um die Frage, ob es 25 Jahre nach der Wiedervereinigung noch Unterschiede in der ost- und westdeutschen Stadtentwicklung gibt. So gibt es andere Tage, an denen ich motiviert in die Uni radele, um aktuelle Forschungsprojekte zu bearbeiten – gerade etwa zur Integration von Flüchtlingen in die deutsche Stadtgesellschaft. Abends versuche ich eher abzuschalten und meine Arbeit beim Spaziergang mit meiner Frau am Rhein zu vergessen.

Welche Frage würden Sie gerne einmal beantworte, die Ihnen noch nie gestellt wurde?

Mich bewegt aktuell die zunehmende Bürokratisierung meines beruflichen Alltags und danach bin ich noch nie gefragt worden. Ich würde antworten, dass mich dies immer stärker nervt, dass ich dies trotz Digitalisierung in vielen gesellschaftlichen Bereichen beobachte und dass ich Gelassenheit entwickeln muss, mit den immer neuen Anforderungen der Forschungsverwaltungen umzugehen.

Das Interview führte Dominik Biergans