VENRO: Tauziehen um Pflegekräfte – Gesundheitspolitik verschärft globale Krise um Fachkräfte

Ausgebildete Gesundheitsfachkräfte sind weltweit knapp. Nach Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) fehlen in den Gesundheitssystemen der einhundert unterversorgten Länder über sieben Millionen Fachkräfte, um nur die allernotwendigste Versorgung anbieten zu können. Ein Mangel mit oft tödlichen Folgen.

Die weitgehend ungehinderte Ausbreitung von Ebola in Westafrika ist auch auf das Fehlen von Gesundheitsfachkräften zurück zuführen: In Liberia versorgte vor Ausbruch der Epidemie ein einziger Arzt 100.000 Menschen. Das ist der letzte Platz in den Statistiken der WHO. Sierra Leone liegt mit zwei Ärzten auf 100.000 Einwohner auf dem weltweit fünftletzten Platz und auch Guinea liegt mit 10 Ärzten noch in alleruntersten Bereich der Ärztedichte. Aus allen drei Ländern wandern in großer Zahl einheimischer Ärzte ab, vornehmlich in OECD Länder. Sierra Leone und Liberia verlieren über die Emigration mehr als 50 % ihrer im Land ausgebildeten Ärzte. Weiterhin gehören alle drei Länder mit 28 – 34 Pflegekräften und Hebammen auf 100.000 Einwohner auch in diesem Bereich zu den 15 schlechtversorgtesten Ländern der Welt. Gesundheitssysteme sind hier, zumal in den ländlichen Gebieten, nahezu inexistent. Im Bereich der Müttersterblichkeit – ein Wert, der als Proxyindikator für die Stärke von Gesundheitssystemen gilt – liegen alle drei Länder an der Weltspitze und Sierra Leone hat die höchste Müttersterblichkeit aller Länder. In diesem weltweit schlechtversorgtesten Dreiländereck von Liberia, Guinea und Sierra Leone trat im Dezember 2013 Ebola auf. Seitdem hat die Krankheit sich in alle Richtungen ausbreiten können. Und die Situation verschlechtert sich weiter: Die WHO schätzt den Anteil von Gesundheitsfachkräften unter den Ebolatoten auf 10 Prozent.

Aber die Krise geht weit über die dramatische Entwicklung in Westafrika hinaus. Laut der WHO verfügen derzeit 83 Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika über weniger als 228 Gesundheitsfachkräfte (Ärzte, Pflegekräfte, Hebammen) für 100.000 Menschen. Unterhalb dieses Wertes spricht die WHO von einer Gesundheitssystemkrise. Und der Mangel ist nicht nur eine Folge der Armut sondern hat auch politische Ursachen.

Ein Land wie Vietnam liegt im Landesdurchschnitt knapp an dem WHO-Grenzwert für einen krisenhaften Fachkräftemangel. Es herrschen regionale Unterschiede mit stark unterversorgten ländlichen Regionen und scheinbaren Überschüssen in den Städten. Und selbst auf den Philippinen, wo in den letzten Dekaden aus dem „Export“ von Pflegekräften ein Geschäftsmodell geworden ist, führt der steigende Bedarf an Pflegekräften in Industrieländern inzwischen zu Problemen: So hat sich die Qualität der pflegerischen Ausbildung in den letzten Jahren deutlich verschlechtert und viele ländliche Gebiete sind auch hier inzwischen unterversorgt.

Kritisch ist auch die Abwerbung aus China zu bewerten, da China aufgrund der Einkindpolitik in Zukunft einen stärker ausgeprägten demographischen Wandel erfahren wird, als die derzeit abwerbenden Staaten. Insgesamt gibt es in vielen Ländern ein großes Potential an jungen und qualifizierten Arbeitssuchenden, das durch konsequente Investition in Ausbildungsgänge und -angebote mehr genutzt werden muss. Auch in Deutschland sind Gesundheitsfachkräfte knapp – allerdings auf hohem Niveau: Auf 100.000 Einwohner kommen hier im Schnitt 360 Ärzte und 950 Pflegekräfte und Hebammen. Regelmäßig wird in Medien über den „Pflegenotstand“ und in geringerem Maße über Ärztemangel berichtet.

Zur Behebung des Fachkräftemangels im deutschen Gesundheitswesen setzt die Politik unter anderem auf die Anwerbung von Personal aus dem Ausland. Abhilfe schaffen sollen Pflegekräfte aus dem Osten und Süden. Innerhalb der EU gilt die Arbeitnehmerfreizügigkeit und 2013 hat die deutsche Bundes-regierung die Grenzen auch für Pflegefachkräfte aus Drittstaaten geöffnet. Sie wirbt teilweise zusammen mit Arbeitgeberverbänden oder der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) um Pflegepersonal aus Vietnam, China, Tunesien, den Philippinen oder aus krisengeschüttelten EU-Ländern wie Spanien, Italien und Griechenland.

Die Ursachen des Gesundheitsfachkräftemangels in Deutschland

Oft werden der unvermeidliche demographische Wandel und die absehbare Alterung der deutschen Gesellschaft angeführt, um die Notwendigkeit der Abwerbung aus dem Ausland zu begründen. Der heutige Fachkräftemangel ist aber hausgemacht. Die wichtigste Ursache liegt in den sich verschlechternden Arbeitsbedingungen in der Pflege. Eine schlechte und in vielen Fällen rückläufige Bezahlung geht mit einer zunehmenden Arbeitsbelastung einher. Es wird versäumt, Personal durch Aus- und Weiterbildung zu gewinnen. Eine kritische Entscheidung war die Einführung der Fallpauschalen 2004 als Instrument der Krankenhausfinanzierung und die damit verbundene Ökonomisierung des Gesundheitssystems.

Deutsche und EU-eigene Fachkräfte sind häufig nicht mehr bereit, die zunehmend schlechten Einkommens- und Arbeitsbedingungen in Deutschland zu akzeptieren. Infolgedessen suchen die Bundesregierung und Arbeitgeber jetzt auf dem Weltmarkt nach Arbeitskräften.

Durch die Öffnung der Grenzen für qualifizierte Fachkräfte wird für die hiesigen Betriebe auch die Möglichkeit geschaffen, Ausbildungskosten einzusparen. Dies stellt einen weiteren Anreiz zur Rekrutierung aus dem Ausland dar und setzt die pflegerischen Ausbildungsgänge in Deutschland weiter unter Druck. Kompensationszahlungen an die Ausbildungssysteme der Herkunftsländer sind notwendig, um hier korrigierend einzugreifen und einer weiteren Verschärfung der Situation entgegenzuwirken.

Der WHO-Verhaltenskodex und seine Umsetzung in Deutschland

VENRO unterstützt den WHO-Verhaltenskodex für die internationale Anwerbung von Gesundheitsfachkräften. Es wird begrüßt, dass sich die Bundesregierung bei der Gestaltung der Rekrutierungsmaßnahmen an den WHO-Empfehlungen orientiert. Der Kodex enthält die Selbstverpflichtung, kein Gesundheitspersonal aus Ländern anzuwerben, die selber unter einem kritischen Mangel an Gesundheitsfachkräften leiden. Dies wurde 2013 mit einer Novelle der Beschäftigungsverordnung für die 57 Länder, die am stärksten und längsten unter einem Fachkräftemangel leiden, in geltendes Recht überführt. Allerdings erfasst die Verordnung nur die Pflegefachkräfte aber keine Ärzte.

Eine interministerielle Arbeitsgruppe „Gesundheitsfachkräfte in Entwicklungsländern“ führt einen regelmäßigen Austausch zwischen dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und Bundeministerium für Arbeit und Soziale (BMAS) sowie mit verdi und der Zivilgesellschaft. Leider nehmen weder das Bundesministerium für Wirtschaft noch die für Pflege in Deutschland zuständigen Referate des BMG an der Arbeitsgruppe teil. Ersteres führt die Projekte grenzüberschreitender Anwerbung durch. Entwicklungspolitisch verantwortliche Gesundheitspolitik bedeutet aber, den Mangel an Gesundheitspersonal in erster Linie über den heimischen Arbeitsmarkt zu decken. Die derzeitige Abwerbung von Fachkräften aus Ländern, die nicht Teil des WHO-Kodex sind, wie Vietnam, China oder von den Philippinen gefährdet die Versorgung der Bevölkerung in den Herkunftsländern.

Die Abwerbung aus diesen Ländern wird von der Bundesregierung mit dem „Triple-Win Konzept“ gerechtfertigt: Von den Abwerbeaktivtäten würden die Zielländer, die Migranten sowie die Herkunftsländer profitieren. Allerdings räumen die dortigen Regierungen den zu erwartenden Rücküberweisungen der Migrantinnen und Migranten (auf den Philippinen derzeit rund 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr) eine höhere Priorität ein, als der Gesundheitsversorgung ihrer ländlichen Regionen. Auf der Strecke bleibt die Bevölkerung in diesen Regionen. Gesundheit ist eine Menschenrecht und damit unteilbar. „Triple-Win“ ist daher inkohärent zu den entwicklungspolitischen Zielsetzungen der Bundesregierung wie auch zu ihrem Bekenntnis zur Gesundheit als zentralem und weltweit gültigen Menschenrecht.

Forderungen

VENRO richtet die folgenden Forderungen an die Bundesregierung:

  • Bei der der Abwerbung von Gesundheitsfachkräften muss Politikkohärenz für Entwicklung hergestellt werden.
  • Das BMZ soll den Schwerpunkt „Förderung von Gesundheitssystemen“ weiter ausbauen, insbesondere im Hinblick auf Ausbildung und Bindung von qualifizierten Fachkräften in Entwicklungsländern. Hierzu zählt auch der verstärkte Einsatz von Programmfinanzierung und Budgethilfe und eine kohärente und dem Ziel der Gesundheitssystemstärkung förderliche Ausgestaltung des BMZ-Schwerpunktes Prävention und Behandlung von HIV und AIDS.
  • Das BMG soll für den Bereich der Pflege eine Strategie zur Gesundheitspersonalentwicklungvorlegen und umsetzen. Die Attraktivität der Pflegeberufe in Deutschland soll tatsächlich gesteigert und der Bedarf für grenzüberschreitende Anwerbung von Gesundheitsfachkräften auf lange Sicht gesenkt werden.der Schutz der globalen Gemeinschaftsgüter mit mess- und überprüfbaren Zielvorgaben für ihre nachhaltige Nutzung verankert wird.
  • Das System der Fallpauschalen zur Krankenhausfinanzierung sollte hinsichtlich seiner Wirkungen auf die stetig schlechteren Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte in den Krankenhäusern überprüft werden.
  • Weitere Elemente des WHO-Kodex sind in verbindliche deutsche Rechtsvorschriften zu überführen. Dies gilt insbesondere für Maßnahmen zur nachhaltigen und einheimischen Gesundheitspersonalentwicklung. Ebenso ist das für Pflegekräfte bestehende Verbot aktiver Abwerbung aus einem der 57 Krisenländer des WHO-Kodex auch auf alle anderen Gesundheitsberufe und insbesondere auch auf Ärzte auszudehnen. Weiterhin soll sich die Bundesregierung auf globaler Ebene für die Schaffung verlässlicher und öffentlicher Mechanismen zur Rechenschaftslegung bei der Umsetzung des WHO Kodex einsetzen.
  • Die Bundesregierung soll sich international und im Rahmen der WHO für eine Kompensation der anfallenden Ausbildungskosten in den Herkunftsländern der migrieren den Gesundheitsfachkräfte durch die Zielländer einsetzen.
  • Die Anwerbung von Pflegekräften aus Drittstaaten soll grundsätzlich nur im Rahmen von bilateralen Regierungsabkommen und über die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) beziehungsweise über von der ZAV zertifizierte Vermittlerinnen und Vermittler stattfinden. Es wird begrüßt, dass die Bundesregierung mit den Philippinen, Bosnien-Herzegowina, Serbien und Tunesien derartige Abkommen bereits geschlossen hat. Es darf bei der Anwerbung nicht zur Zahlung von Vermittlungsgebühren kommen
  • Der Erwerb ausreichender Sprachkenntnisse ist zwingende Voraussetzung für eine Berufsanerkennung in Deutschland. Die Kosten des Spracherwerbs sind von den Vermittlern beziehungsweise den Arbeitgeberinnen und -gebern zu tragen. Die Kosten dürfen nicht auf die zuwandernden Pflegekräfte abgewälzt werden und sollen rechtlich den Ausbildungskosten für einheimische Pflegekräfte gleichgestellt werden.
  • Die Bundesregierung soll sich in bei den Vereinten Nationen zu den Post-2015-Zielen und deren Umsetzung dafür einzusetzen, dass Gesundheitssysteme und deren angemessene Ausstattung mit Fachkräften im Post-2015-Zielkatalog einen angemessenen Platz erhalten.

Zum “Standpunkt”

Weitere Mitteilungen von VENRO finden Sie im Newsletter-Dezember 2014 „VENRO-informiert“:

Mitgliederversammlung

Am 09.12. fand die jährliche Mitgliederversammlung von VENRO statt. Mehr als 80 Personen von rund 40 Organisationen kamen nach Berlin. Zu einer Podiumsdiskussion waren auch Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth und Staatssekretär Dr. Friedrich Kitschelt eingeladen. Zum Artikel

Interview

Im Interview spricht Sid Peruvemba, Vorstandsmitglied von VENRO, über die Bedeutung der Namensergänzung des Verbandes und die zukünftigen Herausforderungen in der Humanitären Hilfe. Zum Interview

Standpunkt

Der neue Standpunkt von VENRO beschäftigt sich mit der globalen Krise um Gesundheitsfachkräfte. Er bewertet die Politik Deutschlands auf diesem Gebiet und gibt Handlungsempfehlungen. Zum Standpunkt

VENRO veröffentlicht gemeinsame Stellungnahme zur zivilen Krisenprävention

VENRO hat mit drei Netzwerken und Dachorganisationen der Zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung eine Stellungnahme veröffentlicht. Darin fordern sie die Bundesregierung zu einer aktiven und werteorientierten Friedenspolitik auf. Anlass ist der vierte Umsetzungsbericht des Aktionsplans “Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung”. Mehr Informationen

VENRO unterstützt Unterschriftenaktion von Attac

Attac wurde vor kurzem der Status der Gemeinnützigkeit entzogen. VENRO unterstützt eine von Attac gestartete Unterschriftenaktion in der gefordert wird, den Bescheid über den Gemeinnützigkeitsentzug zurückzunehmen. Damit zivilgesellschaftliche Organisationen dauerhaft Rechtssicherheit bekommen, fordert Attac außerdem, das Gemeinnützigkeitsrecht auf Bundesebene zu modernisieren. Weitere Informationen sowie den Appell finden Sie hier.

Termine

“Post-2015 – Mehr Wirksamkeit durch neue Strategien in der Lobbyarbeit” (Workshop) / Veranstalter: VENRO – Teilnahme nur für Mitglieder / Termin: 29. Januar 2015 / Veranstaltungsort: Wissenschaftszentrum Bonn, Ahrstr. 45, 53175 Bonn

“Principles of International Proposal Writing, Results Based Management (RBM), Logframe, Concept Note and Full Proposal” (Workshop) / Veranstalter: Karl Kübel Stiftung / Termin: 4.-6. Februar 2015 / Veranstaltungsort: Karl Kübel Institut for Development Education, Coimbatore, Indien

“Setting the Course for a World without Hunger – North-South Dialogue on the Role of the G7” (Fachkonferenz) / Veranstalter: Welthungerhilfe / Termin: 4. Februar 2015 / Veranstaltungsort: Berlin, Welthungerhilfe

Alle ansehen

Stellenangebote

Difäm e.V. sucht eine/n Fachreferent/in in internationaler Gesundheit und Tropenmedizin zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Bewerbungsschluss ist der 31. Januar 2015. Stellenausschreibung

Save the Children e.V. sucht Prozessbegleiter/innen auf Honorarbasis für ihr Programm 3×1 macht stark! Bewerbungsschluss ist der 20. Januar 2015. Stellenausschreibung

Das Deutsches Rotes Kreuz sucht einen Project Manager Food Security (m/w) in Haiti. Bewerbungsschluss ist der 15. Januar 2015. Stellenausschreibung

Weitere Stellenangebote finden Sie auf der Website von VENROAusgebildete Gesundheitsfachkräfte sind weltweit knapp. Nach Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) fehlen in den Gesundheitssystemen der einhundert unterversorgten Länder über sieben Millionen Fachkräfte, um nur die allernotwendigste Versorgung anbieten zu können. Ein Mangel mit oft tödlichen Folgen.

Die weitgehend ungehinderte Ausbreitung von Ebola in Westafrika ist auch auf das Fehlen von Gesundheitsfachkräften zurück zuführen: In Liberia versorgte vor Ausbruch der Epidemie ein einziger Arzt 100.000 Menschen. Das ist der letzte Platz in den Statistiken der WHO. Sierra Leone liegt mit zwei Ärzten auf 100.000 Einwohner auf dem weltweit fünftletzten Platz und auch Guinea liegt mit 10 Ärzten noch in alleruntersten Bereich der Ärztedichte. Aus allen drei Ländern wandern in großer Zahl einheimischer Ärzte ab, vornehmlich in OECD Länder. Sierra Leone und Liberia verlieren über die Emigration mehr als 50 % ihrer im Land ausgebildeten Ärzte. Weiterhin gehören alle drei Länder mit 28 – 34 Pflegekräften und Hebammen auf 100.000 Einwohner auch in diesem Bereich zu den 15 schlechtversorgtesten Ländern der Welt. Gesundheitssysteme sind hier, zumal in den ländlichen Gebieten, nahezu inexistent. Im Bereich der Müttersterblichkeit – ein Wert, der als Proxyindikator für die Stärke von Gesundheitssystemen gilt – liegen alle drei Länder an der Weltspitze und Sierra Leone hat die höchste Müttersterblichkeit aller Länder. In diesem weltweit schlechtversorgtesten Dreiländereck von Liberia, Guinea und Sierra Leone trat im Dezember 2013 Ebola auf. Seitdem hat die Krankheit sich in alle Richtungen ausbreiten können. Und die Situation verschlechtert sich weiter: Die WHO schätzt den Anteil von Gesundheitsfachkräften unter den Ebolatoten auf 10 Prozent.

Aber die Krise geht weit über die dramatische Entwicklung in Westafrika hinaus. Laut der WHO verfügen derzeit 83 Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika über weniger als 228 Gesundheitsfachkräfte (Ärzte, Pflegekräfte, Hebammen) für 100.000 Menschen. Unterhalb dieses Wertes spricht die WHO von einer Gesundheitssystemkrise. Und der Mangel ist nicht nur eine Folge der Armut sondern hat auch politische Ursachen.

Ein Land wie Vietnam liegt im Landesdurchschnitt knapp an dem WHO-Grenzwert für einen krisenhaften Fachkräftemangel. Es herrschen regionale Unterschiede mit stark unterversorgten ländlichen Regionen und scheinbaren Überschüssen in den Städten. Und selbst auf den Philippinen, wo in den letzten Dekaden aus dem „Export“ von Pflegekräften ein Geschäftsmodell geworden ist, führt der steigende Bedarf an Pflegekräften in Industrieländern inzwischen zu Problemen: So hat sich die Qualität der pflegerischen Ausbildung in den letzten Jahren deutlich verschlechtert und viele ländliche Gebiete sind auch hier inzwischen unterversorgt.

Kritisch ist auch die Abwerbung aus China zu bewerten, da China aufgrund der Einkindpolitik in Zukunft einen stärker ausgeprägten demographischen Wandel erfahren wird, als die derzeit abwerbenden Staaten. Insgesamt gibt es in vielen Ländern ein großes Potential an jungen und qualifizierten Arbeitssuchenden, das durch konsequente Investition in Ausbildungsgänge und -angebote mehr genutzt werden muss. Auch in Deutschland sind Gesundheitsfachkräfte knapp – allerdings auf hohem Niveau: Auf 100.000 Einwohner kommen hier im Schnitt 360 Ärzte und 950 Pflegekräfte und Hebammen. Regelmäßig wird in Medien über den „Pflegenotstand“ und in geringerem Maße über Ärztemangel berichtet.

Zur Behebung des Fachkräftemangels im deutschen Gesundheitswesen setzt die Politik unter anderem auf die Anwerbung von Personal aus dem Ausland. Abhilfe schaffen sollen Pflegekräfte aus dem Osten und Süden. Innerhalb der EU gilt die Arbeitnehmerfreizügigkeit und 2013 hat die deutsche Bundes-regierung die Grenzen auch für Pflegefachkräfte aus Drittstaaten geöffnet. Sie wirbt teilweise zusammen mit Arbeitgeberverbänden oder der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) um Pflegepersonal aus Vietnam, China, Tunesien, den Philippinen oder aus krisengeschüttelten EU-Ländern wie Spanien, Italien und Griechenland.

Die Ursachen des Gesundheitsfachkräftemangels in Deutschland

Oft werden der unvermeidliche demographische Wandel und die absehbare Alterung der deutschen Gesellschaft angeführt, um die Notwendigkeit der Abwerbung aus dem Ausland zu begründen. Der heutige Fachkräftemangel ist aber hausgemacht. Die wichtigste Ursache liegt in den sich verschlechternden Arbeitsbedingungen in der Pflege. Eine schlechte und in vielen Fällen rückläufige Bezahlung geht mit einer zunehmenden Arbeitsbelastung einher. Es wird versäumt, Personal durch Aus- und Weiterbildung zu gewinnen. Eine kritische Entscheidung war die Einführung der Fallpauschalen 2004 als Instrument der Krankenhausfinanzierung und die damit verbundene Ökonomisierung des Gesundheitssystems.

Deutsche und EU-eigene Fachkräfte sind häufig nicht mehr bereit, die zunehmend schlechten Einkommens- und Arbeitsbedingungen in Deutschland zu akzeptieren. Infolgedessen suchen die Bundesregierung und Arbeitgeber jetzt auf dem Weltmarkt nach Arbeitskräften.

Durch die Öffnung der Grenzen für qualifizierte Fachkräfte wird für die hiesigen Betriebe auch die Möglichkeit geschaffen, Ausbildungskosten einzusparen. Dies stellt einen weiteren Anreiz zur Rekrutierung aus dem Ausland dar und setzt die pflegerischen Ausbildungsgänge in Deutschland weiter unter Druck. Kompensationszahlungen an die Ausbildungssysteme der Herkunftsländer sind notwendig, um hier korrigierend einzugreifen und einer weiteren Verschärfung der Situation entgegenzuwirken.

Der WHO-Verhaltenskodex und seine Umsetzung in Deutschland

VENRO unterstützt den WHO-Verhaltenskodex für die internationale Anwerbung von Gesundheitsfachkräften. Es wird begrüßt, dass sich die Bundesregierung bei der Gestaltung der Rekrutierungsmaßnahmen an den WHO-Empfehlungen orientiert. Der Kodex enthält die Selbstverpflichtung, kein Gesundheitspersonal aus Ländern anzuwerben, die selber unter einem kritischen Mangel an Gesundheitsfachkräften leiden. Dies wurde 2013 mit einer Novelle der Beschäftigungsverordnung für die 57 Länder, die am stärksten und längsten unter einem Fachkräftemangel leiden, in geltendes Recht überführt. Allerdings erfasst die Verordnung nur die Pflegefachkräfte aber keine Ärzte.

Eine interministerielle Arbeitsgruppe „Gesundheitsfachkräfte in Entwicklungsländern“ führt einen regelmäßigen Austausch zwischen dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und Bundeministerium für Arbeit und Soziale (BMAS) sowie mit verdi und der Zivilgesellschaft. Leider nehmen weder das Bundesministerium für Wirtschaft noch die für Pflege in Deutschland zuständigen Referate des BMG an der Arbeitsgruppe teil. Ersteres führt die Projekte grenzüberschreitender Anwerbung durch. Entwicklungspolitisch verantwortliche Gesundheitspolitik bedeutet aber, den Mangel an Gesundheitspersonal in erster Linie über den heimischen Arbeitsmarkt zu decken. Die derzeitige Abwerbung von Fachkräften aus Ländern, die nicht Teil des WHO-Kodex sind, wie Vietnam, China oder von den Philippinen gefährdet die Versorgung der Bevölkerung in den Herkunftsländern.

Die Abwerbung aus diesen Ländern wird von der Bundesregierung mit dem „Triple-Win Konzept“ gerechtfertigt: Von den Abwerbeaktivtäten würden die Zielländer, die Migranten sowie die Herkunftsländer profitieren. Allerdings räumen die dortigen Regierungen den zu erwartenden Rücküberweisungen der Migrantinnen und Migranten (auf den Philippinen derzeit rund 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr) eine höhere Priorität ein, als der Gesundheitsversorgung ihrer ländlichen Regionen. Auf der Strecke bleibt die Bevölkerung in diesen Regionen. Gesundheit ist eine Menschenrecht und damit unteilbar. „Triple-Win“ ist daher inkohärent zu den entwicklungspolitischen Zielsetzungen der Bundesregierung wie auch zu ihrem Bekenntnis zur Gesundheit als zentralem und weltweit gültigen Menschenrecht.

Forderungen

VENRO richtet die folgenden Forderungen an die Bundesregierung:

  • Bei der der Abwerbung von Gesundheitsfachkräften muss Politikkohärenz für Entwicklung hergestellt werden.
  • Das BMZ soll den Schwerpunkt „Förderung von Gesundheitssystemen“ weiter ausbauen, insbesondere im Hinblick auf Ausbildung und Bindung von qualifizierten Fachkräften in Entwicklungsländern. Hierzu zählt auch der verstärkte Einsatz von Programmfinanzierung und Budgethilfe und eine kohärente und dem Ziel der Gesundheitssystemstärkung förderliche Ausgestaltung des BMZ-Schwerpunktes Prävention und Behandlung von HIV und AIDS.
  • Das BMG soll für den Bereich der Pflege eine Strategie zur Gesundheitspersonalentwicklungvorlegen und umsetzen. Die Attraktivität der Pflegeberufe in Deutschland soll tatsächlich gesteigert und der Bedarf für grenzüberschreitende Anwerbung von Gesundheitsfachkräften auf lange Sicht gesenkt werden.der Schutz der globalen Gemeinschaftsgüter mit mess- und überprüfbaren Zielvorgaben für ihre nachhaltige Nutzung verankert wird.
  • Das System der Fallpauschalen zur Krankenhausfinanzierung sollte hinsichtlich seiner Wirkungen auf die stetig schlechteren Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte in den Krankenhäusern überprüft werden.
  • Weitere Elemente des WHO-Kodex sind in verbindliche deutsche Rechtsvorschriften zu überführen. Dies gilt insbesondere für Maßnahmen zur nachhaltigen und einheimischen Gesundheitspersonalentwicklung. Ebenso ist das für Pflegekräfte bestehende Verbot aktiver Abwerbung aus einem der 57 Krisenländer des WHO-Kodex auch auf alle anderen Gesundheitsberufe und insbesondere auch auf Ärzte auszudehnen. Weiterhin soll sich die Bundesregierung auf globaler Ebene für die Schaffung verlässlicher und öffentlicher Mechanismen zur Rechenschaftslegung bei der Umsetzung des WHO Kodex einsetzen.
  • Die Bundesregierung soll sich international und im Rahmen der WHO für eine Kompensation der anfallenden Ausbildungskosten in den Herkunftsländern der migrieren den Gesundheitsfachkräfte durch die Zielländer einsetzen.
  • Die Anwerbung von Pflegekräften aus Drittstaaten soll grundsätzlich nur im Rahmen von bilateralen Regierungsabkommen und über die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) beziehungsweise über von der ZAV zertifizierte Vermittlerinnen und Vermittler stattfinden. Es wird begrüßt, dass die Bundesregierung mit den Philippinen, Bosnien-Herzegowina, Serbien und Tunesien derartige Abkommen bereits geschlossen hat. Es darf bei der Anwerbung nicht zur Zahlung von Vermittlungsgebühren kommen
  • Der Erwerb ausreichender Sprachkenntnisse ist zwingende Voraussetzung für eine Berufsanerkennung in Deutschland. Die Kosten des Spracherwerbs sind von den Vermittlern beziehungsweise den Arbeitgeberinnen und -gebern zu tragen. Die Kosten dürfen nicht auf die zuwandernden Pflegekräfte abgewälzt werden und sollen rechtlich den Ausbildungskosten für einheimische Pflegekräfte gleichgestellt werden.
  • Die Bundesregierung soll sich in bei den Vereinten Nationen zu den Post-2015-Zielen und deren Umsetzung dafür einzusetzen, dass Gesundheitssysteme und deren angemessene Ausstattung mit Fachkräften im Post-2015-Zielkatalog einen angemessenen Platz erhalten.

Zum “Standpunkt”

Weitere Mitteilungen von VENRO finden Sie im Newsletter-Dezember 2014 „VENRO-informiert“:

Mitgliederversammlung

Am 09.12. fand die jährliche Mitgliederversammlung von VENRO statt. Mehr als 80 Personen von rund 40 Organisationen kamen nach Berlin. Zu einer Podiumsdiskussion waren auch Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth und Staatssekretär Dr. Friedrich Kitschelt eingeladen. Zum Artikel

Interview

Im Interview spricht Sid Peruvemba, Vorstandsmitglied von VENRO, über die Bedeutung der Namensergänzung des Verbandes und die zukünftigen Herausforderungen in der Humanitären Hilfe. Zum Interview

Standpunkt

Der neue Standpunkt von VENRO beschäftigt sich mit der globalen Krise um Gesundheitsfachkräfte. Er bewertet die Politik Deutschlands auf diesem Gebiet und gibt Handlungsempfehlungen. Zum Standpunkt

VENRO veröffentlicht gemeinsame Stellungnahme zur zivilen Krisenprävention

VENRO hat mit drei Netzwerken und Dachorganisationen der Zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung eine Stellungnahme veröffentlicht. Darin fordern sie die Bundesregierung zu einer aktiven und werteorientierten Friedenspolitik auf. Anlass ist der vierte Umsetzungsbericht des Aktionsplans “Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung”. Mehr Informationen

VENRO unterstützt Unterschriftenaktion von Attac

Attac wurde vor kurzem der Status der Gemeinnützigkeit entzogen. VENRO unterstützt eine von Attac gestartete Unterschriftenaktion in der gefordert wird, den Bescheid über den Gemeinnützigkeitsentzug zurückzunehmen. Damit zivilgesellschaftliche Organisationen dauerhaft Rechtssicherheit bekommen, fordert Attac außerdem, das Gemeinnützigkeitsrecht auf Bundesebene zu modernisieren. Weitere Informationen sowie den Appell finden Sie hier.

Termine

“Post-2015 – Mehr Wirksamkeit durch neue Strategien in der Lobbyarbeit” (Workshop) / Veranstalter: VENRO – Teilnahme nur für Mitglieder / Termin: 29. Januar 2015 / Veranstaltungsort: Wissenschaftszentrum Bonn, Ahrstr. 45, 53175 Bonn

“Principles of International Proposal Writing, Results Based Management (RBM), Logframe, Concept Note and Full Proposal” (Workshop) / Veranstalter: Karl Kübel Stiftung / Termin: 4.-6. Februar 2015 / Veranstaltungsort: Karl Kübel Institut for Development Education, Coimbatore, Indien

“Setting the Course for a World without Hunger – North-South Dialogue on the Role of the G7” (Fachkonferenz) / Veranstalter: Welthungerhilfe / Termin: 4. Februar 2015 / Veranstaltungsort: Berlin, Welthungerhilfe

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Difäm e.V. sucht eine/n Fachreferent/in in internationaler Gesundheit und Tropenmedizin zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Bewerbungsschluss ist der 31. Januar 2015. Stellenausschreibung

Save the Children e.V. sucht Prozessbegleiter/innen auf Honorarbasis für ihr Programm 3×1 macht stark! Bewerbungsschluss ist der 20. Januar 2015. Stellenausschreibung

Das Deutsches Rotes Kreuz sucht einen Project Manager Food Security (m/w) in Haiti. Bewerbungsschluss ist der 15. Januar 2015. Stellenausschreibung

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