Reinhard Hennig untersucht in seiner Dissertation, wie Autoren aus Island und Norwegen in ihren literarischen Werken aktuelle Umweltfragen aufgreifen und somit an die öffentliche Diskussion in ihren Ländern anknüpfen bzw. diese beeinflussen.

In unserer Reihe “Die Zukunftsforscher – Junge Wissenschaftler forschen zur Nachhaltigkeit” stellen wir junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und ihre Arbeiten vor.


 

© Reinhard Hennig

Porträt:Reinhard Hennig

Natur, Kultur und Aktivismus: Eine kulturökologische Analyse umwelt-engagierter Literatur aus Norwegen und Island

 

 

Laufende Dissertation

 

Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

 

Fachbereich Skandinavistik am Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft


Bonn Sustainability Portal: Lieber Herr Hennig, womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Dissertation?

Herr Hennig: Die Grundfrage ist, wie literarische Werke – also etwa Romane, Kurzgeschichten und auch Essays – Umweltfragen aufgreifen und versuchen, deren Diskussion zu verändern und zu beeinflussen. Außerdem geht es darum, wie Ideen und Konzepte aus dem Umfeld von Ökologie, Umweltbewegung und Umweltethik in Literatur verarbeitet werden, zum Beispiel ‚Biodiversität‘ oder ‚Nachhaltigkeit‘. Als Quellen nutze ich Texte aus Island und Norwegen von der Zeit an, in der in vielen Ländern Umweltbewegungen wie wir sie kennen entstanden sind, nämlich von 1970 bis zur Gegenwart.

Der Vorteil von Literatur als Medium ist, dass in ihr der Vorstellungskraft keine Grenzen gesetzt sind. 1972 veröffentlichte der Club of Rome die Studie Die Grenzen des Wachstums, in der gewarnt wurde, dass, wenn Weltbevölkerung, Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung weiterhin exponentiell wüchsen, in absehbarer Zeit die ökologischen Grenzen des Planeten überschritten würden und ein unkontrollierter Zusammenbruch folgen würde. In den Jahren darauf erschienen zahlreiche Romane, die einen solchen Kollaps am Beispiel westlicher, urbanisierter Gesellschaften thematisierten, in Norwegen etwa Knut Faldbakkens Unjahre von 1974-76. Was in den Grenzen des Wachstums sehr abstrakt, mit zahlreichen Diagrammen, Tabellen und wissenschaftlichen Begriffen beschrieben war, wurde im Roman verständlich und ganz konkret vorstellbar. Nach der Lektüre von Unjahre war es kein Problem mehr, sich auszumalen, wie ein Festhalten am Status quo enden könnte. Andererseits übt Literatur nicht nur Kritik am menschlichen Verhalten, sondern liefert auch imaginäre Gegenentwürfe zu bestehenden Systemen. Ein bekanntes Beispiel ist Ernest Callenbachs utopischer Roman Ecotopia, in dem ein fiktiver Staat entworfen wird, dessen Gesellschaft es gelingt, im Einklang mit der Natur zu leben. Solche Texte müssen keineswegs realistisch sein, um ihre Funktion zu erfüllen: die Fantasie anzuregen und ein Umdenken anzustoßen.

Welches ist das erstaunlichste Ergebnis Ihrer Arbeit?

Das vielleicht Erstaunlichste ist, dass die Geschichte und Kultur der jeweiligen Länder in der umwelt-engagierten Literatur eine so bedeutende Rolle spielen. Ein bekanntes Motto der Umweltbewegung ist ja „think globally, act locally“, aber so einheitlich, wie es manchmal scheint, ist ökologisches Denken nicht. Im Gegenteil, es gibt große Unterschiede darin, wie und welche Umweltfragen in einzelnen Ländern diskutiert werden, und das spiegelt sich erstaunlich deutlich in der Literatur wider. In Island zum Beispiel werden im literarischen wie im öffentlichen Diskurs allgemein Umweltfragen quasi immer mit dem Szenario einer Bedrohung der Selbständigkeit des Landes verknüpft. Seit etlichen Jahren werden dort auf Kosten der natürlichen Ökosysteme des Landes zahllose große Kraftwerke gebaut, um mit dem Strom Aluminiumschmelzen ausländischer Investoren zu betreiben. „Wenn wir unsere Naturressourcen an internationale Konzerne verkaufen, dann riskieren wir die hart erkämpfte Unabhängigkeit“, lautet dabei eine häufige Argumentation der Gegner dieser Art von Wirtschaftspolitik. Der Hintergrund ist, dass Island sich erst 1944 von Dänemark loslösen konnte und die Zeit als dänische Kolonie meist als Niedergang der isländischen Kultur und Gesellschaft betrachtet wird. Dies tritt beispielsweise in Andri Snær Magnasons Bestseller Traumland. Was bleibt, wenn alles verkauft ist? von 2006 sehr deutlich zutage. Darin verknüpft er eine ökologisch motivierte Kulturkritik mit einer spezifisch isländischen Sichtweise auf Globalisierung und Umweltzerstörung.

Was muss Ihrer Ansicht nach verändert/verbessert werden?

Wir brauchen mehr wahrhaft interdisziplinäre Erforschung von Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen. Damit meine ich ganz konkret eine gleichberechtigte Zusammenführung von natur- und geisteswissenschaftlichen Vorgehensweisen und Erkenntnissen. Dass wir es zum Beispiel noch immer nicht schaffen, den Verbrauch fossiler Energieträger wie Erdöl und Kohle zu reduzieren, liegt ja nicht an fehlendem Wissen der Naturwissenschaften über die Folgen für das Klima. Andererseits hätten Geisteswissenschaften mit ihrem Blick auf den Menschen, auf Kultur, Geschichte und Philosophie ein hohes Potential, zur Lösung von drängenden ökologischen und sozialen Fragen beizutragen. Sie können erklären, warum bestimmte Strategien in manchen kulturellen Kontexten funktionieren und andere entgegen jeder Vernunft nicht. Deshalb müssen wir das Wissen und die Fähigkeiten unterschiedlichster Disziplinen zusammenführen, wenn wir ein ernsthaftes Interesse an der realen Nutzung unserer Erkenntnisse haben.

Welchen praktischen Nutzen hat Ihre Arbeit?

Mein Projekt ist ein solcher Versuch, Ökologie, Umweltgeschichte im weitesten Sinn, Ideen- und Wissenschaftsgeschichte sowie Literatur- und Kulturwissenschaften miteinander zu verbinden. Es zeigt deutlich, dass Literatur entgegen einer häufigen Annahme eben nicht nur unterhaltende Funktion hat, sondern im Gegenteil über eine hohe Relevanz für die Diskussion von drängenden ökologischen und sozialen Fragen verfügt.

Darüber hinaus wird mein Projekt auch Grundlagen für weitere Forschung liefern, weil es einen ersten, umfassenden Einblick in umwelt-engagierte Literatur aus den beiden untersuchten Ländern bietet – eine Art von Texten, die bislang so noch nie in ihrer Gesamtheit und aus dieser Perspektive erfasst wurden.

Was ist Ihr ganz persönlicher Beitrag zur Nachhaltigkeit?

Nachhaltigkeit im Sinne eines Lebensstils, der sich beliebig in der Zukunft fortsetzen ließe, ist in einer Gesellschaft, die auf ständig gesteigertem Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen basiert, für Einzelne kaum zu erreichen. Nichtsdestotrotz versuche ich, wo ich kann, meinen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Ich benutze öffentliche Verkehrsmittel und Fahrrad statt Auto, auf längeren Strecken vermeide ich wenn möglich das Flugzeug und fahre mit Bahn oder Fähre – sogar nach Island – auch wenn das länger dauert. Wenn sich das Fliegen einmal nicht umgehen lässt, kompensiere ich die entstandenen Emissionen zum Beispiel über die Klimaschutzorganisation atmosfair. Fleisch esse ich nur sehr selten und kaufe bevorzugt Nahrungsmittel aus ökologischer und regionaler Landwirtschaft. In meiner Freizeit engagiere ich mich ehrenamtlich bei Greenpeace, momentan vor allem in der Kampagne für den Schutz der Arktis vor Erdölförderung und industrieller Fischerei. Da gibt es erfreulicherweise auch Schnittmengen zum Thema meiner Dissertation.

Die Dissertation von Herrn Hennig wird von der Heinrich-Böll-Stiftung mit einem Promotionsstipendium gefördert. Einige mit dem Dissertationsthema verwandte Publikationen sind auf http://reinhard-hennig.de/publikationen/ verzeichnet.

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