1.12.2015 | S I D: Wiederaufbau unter Drohnen? Auswirkungen zukünftiger Kriegsführung auf Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe

Die Gesellschaft für Internationale Entwicklung (SID) lädt zum Entwicklungspolitischen Fachgespräch Nr. 112 “Wiederaufbau unter Drohnen? Auswirkungen zukünftiger Kriegsführung auf Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe ”

am Dienstag, dem 1. Dezember 2015, um 17.30 (bis 19.00) Uhr im Hörsaal des DIE (Tulpenfeld 6)

Gesprächspartner ist Prof. Dr. Conrad Schetter, Direktor des BICC (Internationales Konversionszentrum Bonn — Bonn International Center for Conversion)

Die Veranstaltung wird moderiert von Dr. J. Wiemann.

SID Bonn organisiert in der Regel einmal monatlich ein Entwicklungspolitisches Fachgespräch. Darin geht es vor allem um Themen, die sich an der Praxis der Entwicklungszusammenarbeit orientieren.

Die Veranstaltungen sind öffentlich und kostenlos.

Eine Anmeldung ist nicht notwendig.

Anschließend lädt SID Bonn zu einem vin d’honneur ein, bei dem das Gespräch in informeller Runde fortgesetzt werden kann.

Weitere Informationen hier.

Die Vorlese der Veranstaltung:

Wiederaufbau unter Drohnen? Auswirkungen zukünftiger Kriegsführung auf die Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe

In der Sicherheitspolitik lässt sich gegenwärtig eine radikale Verschiebung im Kriegsverständnis erkennen, deren Konsequenzen für die Entwicklungspolitik bislang kaum diskutiert werden.

So geht es in den sogenannten liquid wars, die wohl in Zukunft die bestimmenden sein werden, weit weniger um die Kontrolle von Territorien und die flächendeckende Intervention in Ländern; stattdessen gewinnt die schnelle und ubiquitäre Durchführung militärischer Einsätze rasant an Bedeutung: Die räumliche Dimension wird durch die zeitliche abgelöst. In diesem Zusammenhang stellt die Drohne die prototypische Waffe einer neuen Kriegsführung dar; gleichzeitig geht dieser Wandel der Kriegsführung damit einher, dass sich liquid wars von verregelten Kriegen hin zur ‚Menschenjagd‘ (Chamayou) wandeln, was nicht nur rechtliche und politische Konsequenzen mit sich bringt, sondern auch das Verständnis von Krieg (‚post-heroic warfare‘) und die Abgrenzung von Krieg und Frieden grundsätzlich in Frage stellt. Wie die jüngsten Terroranschläge in Paris und die darauffolgenden militärischen Reaktionen verdeutlichen, ergibt sich daher der Befund, dass wir an der Schwelle zum ‚everywhere war‘ (Gregory) stehen, der zunehmend von Ausnahmezuständen beherrscht wird.

Ausdruck findet diese neue Vorstellung von Krieg v.a. im Konzept der ‚Unregierten Räume‘ (ungoverned spaces), das zunehmend ins Zentrum der U.S.-amerikanischen Sicherheitsdoktrin rückt. So werden Räume des Ausnahmezustands identifiziert, kategorisiert und definiert, die ein Handeln legitimieren, das als Herausforderung für die geltende Rechtssetzung empfunden wird. Auf diese Weise werden Cyber Space, entlegene Regionen in Somalia oder Afghanistan wie auch die banlieus in Paris und Marseille in einem Atemzug als unregierbare Sicherheitsrisikoräume erklärt. Diese werden in der Regel als Räume der Fremdheit, der Wildheit, der Vor-Moderne oder des Chaos imaginiert. Immer wieder tritt das Bild auf, dass hier die Gesetze des Dschungels herrschen, die nahezu jede Form der Interessendurchsetzung erlauben und damit jedwedes Mittel der Kriegsführung (siehe Drohnen) rechtfertigen.

So stellt sich die Frage, welche Auswirkungen solch ein neues Verständnis von Krieg auf humanitäre Praktiken wie auf die Entwicklungszusammenarbeit hat. Auf der einen Seite verdeutlichen die jüngsten militärischen Interventionen in Afghanistan oder Irak, dass die Unabhängigkeit von zivilen Akteuren immer stärker eingeschränkt und in Frage gestellt wird. Unter Stichwörtern wie ‚Effizienzgewinnung‘, ‚whole of a government‘ oder ‚vernetzte Sicherheit‘ findet eine funktionale Betrachtung der zivilen Akteure statt, die deren eigene Legitimationen und Zielsetzungen unberücksichtigt lässt. Daher ist der Trend, dass ein von militärischen Überlegungen unabhängiges, eigenständiges Handeln humanitärer und entwicklungsbezogener Akteure immer schwieriger wird.

Auf der andere Seite laufen Ansätze wie die der ‚Unregierten Räume‘ darauf hinaus, dass deren Konzeptionalisierung ganzen Weltregionen bereits die Möglichkeit der ‚Entwicklung‘ abspricht. Daher würde die konsequente Durchsetzung dieses Konzeptes drastische Folgen für die Entwicklungspolitik beinhalten. So kann gerade in Hinblick auf finanziell knapp werdende Mittel mit dem Ansatz der ‚Unregierten Räume‘ argumentiert werden, dass aus sicherheitspolitischen Erwägungen ein kostengünstiges Policing (über Drohnen, Special Forces etc.) gewisser Regionen völlig ausreichend ist und entwicklungspolitische Maßnahmen hier auch mittel- und langfristig auf keinen fruchtbaren Nährboden fallen. Die Krise der Entwicklungszusammenarbeit kann daher durch sicherheitspolitische Argumente verschärft werden. Damit würde das Argument von Mark Duffield, dass Entwicklungszusammenarbeit vor allem einer Technik der Sicherheitspolitik entspricht, eine Bestätigung erfahren. Oder anders ausgedrückt: Die Erkenntnis würde reifen, dass Entwicklungspolitik nur noch dann als sinnvoll erachtet wird, wenn diese aus sicherheitspolitischem Kalkül (u.a. Flüchtlingsursachen bekämpfen; Handelswege freihalten) als notwendig erscheint.

Conrad Schetter, BICC

Literatur:

Chamayou, G. (2014) „Ferngesteuerte Gewalt. Eine Theorie der Drohne”. Wien

Duffield, M. (2007) “Development, Security and Unending War. Governing the World of People. Cambridge“: Polity.

Prinz, J., & Schetter, C. (2014). ‘Das Ende der Souveränität? Über die Entstehung neuer Gewalträume im Krieg gegen den Terrorismus’. Friedenswarte, 89(3-4), 385-404.

Quelle: Mitteilung der SID vom 24.11.2015Die Gesellschaft für Internationale Entwicklung (SID) lädt zum Entwicklungspolitischen Fachgespräch Nr. 112 “Wiederaufbau unter Drohnen? Auswirkungen zukünftiger Kriegsführung auf Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe ”

am Dienstag, dem 1. Dezember 2015, um 17.30 (bis 19.00) Uhr im Hörsaal des DIE (Tulpenfeld 6)

Gesprächspartner ist Prof. Dr. Conrad Schetter, Direktor des BICC (Internationales Konversionszentrum Bonn — Bonn International Center for Conversion)

Die Veranstaltung wird moderiert von Dr. J. Wiemann.

SID Bonn organisiert in der Regel einmal monatlich ein Entwicklungspolitisches Fachgespräch. Darin geht es vor allem um Themen, die sich an der Praxis der Entwicklungszusammenarbeit orientieren.

Die Veranstaltungen sind öffentlich und kostenlos.

Eine Anmeldung ist nicht notwendig.

Anschließend lädt SID Bonn zu einem vin d’honneur ein, bei dem das Gespräch in informeller Runde fortgesetzt werden kann.

Weitere Informationen hier.

Die Vorlese der Veranstaltung:

Wiederaufbau unter Drohnen? Auswirkungen zukünftiger Kriegsführung auf die Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe

In der Sicherheitspolitik lässt sich gegenwärtig eine radikale Verschiebung im Kriegsverständnis erkennen, deren Konsequenzen für die Entwicklungspolitik bislang kaum diskutiert werden.

So geht es in den sogenannten liquid wars, die wohl in Zukunft die bestimmenden sein werden, weit weniger um die Kontrolle von Territorien und die flächendeckende Intervention in Ländern; stattdessen gewinnt die schnelle und ubiquitäre Durchführung militärischer Einsätze rasant an Bedeutung: Die räumliche Dimension wird durch die zeitliche abgelöst. In diesem Zusammenhang stellt die Drohne die prototypische Waffe einer neuen Kriegsführung dar; gleichzeitig geht dieser Wandel der Kriegsführung damit einher, dass sich liquid wars von verregelten Kriegen hin zur ‚Menschenjagd‘ (Chamayou) wandeln, was nicht nur rechtliche und politische Konsequenzen mit sich bringt, sondern auch das Verständnis von Krieg (‚post-heroic warfare‘) und die Abgrenzung von Krieg und Frieden grundsätzlich in Frage stellt. Wie die jüngsten Terroranschläge in Paris und die darauffolgenden militärischen Reaktionen verdeutlichen, ergibt sich daher der Befund, dass wir an der Schwelle zum ‚everywhere war‘ (Gregory) stehen, der zunehmend von Ausnahmezuständen beherrscht wird.

Ausdruck findet diese neue Vorstellung von Krieg v.a. im Konzept der ‚Unregierten Räume‘ (ungoverned spaces), das zunehmend ins Zentrum der U.S.-amerikanischen Sicherheitsdoktrin rückt. So werden Räume des Ausnahmezustands identifiziert, kategorisiert und definiert, die ein Handeln legitimieren, das als Herausforderung für die geltende Rechtssetzung empfunden wird. Auf diese Weise werden Cyber Space, entlegene Regionen in Somalia oder Afghanistan wie auch die banlieus in Paris und Marseille in einem Atemzug als unregierbare Sicherheitsrisikoräume erklärt. Diese werden in der Regel als Räume der Fremdheit, der Wildheit, der Vor-Moderne oder des Chaos imaginiert. Immer wieder tritt das Bild auf, dass hier die Gesetze des Dschungels herrschen, die nahezu jede Form der Interessendurchsetzung erlauben und damit jedwedes Mittel der Kriegsführung (siehe Drohnen) rechtfertigen.

So stellt sich die Frage, welche Auswirkungen solch ein neues Verständnis von Krieg auf humanitäre Praktiken wie auf die Entwicklungszusammenarbeit hat. Auf der einen Seite verdeutlichen die jüngsten militärischen Interventionen in Afghanistan oder Irak, dass die Unabhängigkeit von zivilen Akteuren immer stärker eingeschränkt und in Frage gestellt wird. Unter Stichwörtern wie ‚Effizienzgewinnung‘, ‚whole of a government‘ oder ‚vernetzte Sicherheit‘ findet eine funktionale Betrachtung der zivilen Akteure statt, die deren eigene Legitimationen und Zielsetzungen unberücksichtigt lässt. Daher ist der Trend, dass ein von militärischen Überlegungen unabhängiges, eigenständiges Handeln humanitärer und entwicklungsbezogener Akteure immer schwieriger wird.

Auf der andere Seite laufen Ansätze wie die der ‚Unregierten Räume‘ darauf hinaus, dass deren Konzeptionalisierung ganzen Weltregionen bereits die Möglichkeit der ‚Entwicklung‘ abspricht. Daher würde die konsequente Durchsetzung dieses Konzeptes drastische Folgen für die Entwicklungspolitik beinhalten. So kann gerade in Hinblick auf finanziell knapp werdende Mittel mit dem Ansatz der ‚Unregierten Räume‘ argumentiert werden, dass aus sicherheitspolitischen Erwägungen ein kostengünstiges Policing (über Drohnen, Special Forces etc.) gewisser Regionen völlig ausreichend ist und entwicklungspolitische Maßnahmen hier auch mittel- und langfristig auf keinen fruchtbaren Nährboden fallen. Die Krise der Entwicklungszusammenarbeit kann daher durch sicherheitspolitische Argumente verschärft werden. Damit würde das Argument von Mark Duffield, dass Entwicklungszusammenarbeit vor allem einer Technik der Sicherheitspolitik entspricht, eine Bestätigung erfahren. Oder anders ausgedrückt: Die Erkenntnis würde reifen, dass Entwicklungspolitik nur noch dann als sinnvoll erachtet wird, wenn diese aus sicherheitspolitischem Kalkül (u.a. Flüchtlingsursachen bekämpfen; Handelswege freihalten) als notwendig erscheint.

Conrad Schetter, BICC

Literatur:

Chamayou, G. (2014) „Ferngesteuerte Gewalt. Eine Theorie der Drohne”. Wien

Duffield, M. (2007) “Development, Security and Unending War. Governing the World of People. Cambridge“: Polity.

Prinz, J., & Schetter, C. (2014). ‘Das Ende der Souveränität? Über die Entstehung neuer Gewalträume im Krieg gegen den Terrorismus’. Friedenswarte, 89(3-4), 385-404.

Quelle: Mitteilung der SID vom 24.11.2015