Konsortium Ziviler Friedensdienst u.a.: Stellungnahme zum 4. Umsetzungsbericht Zivile Krisenprävention

Zum 10-jährigen Jubiläum der Verabschiedung des Aktionsplans Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung hat die Bundesregierung nun ihren vierten Umsetzungsbericht vorgelegt. Als Netzwerke und Dachorganisationen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich in der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung engagieren, nehmen das Konsortium ZFD, die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, das Forum Menschenrechte und VENRO Stellung zu diesem Bericht. Damit wollen wir die Regierung und das Parlament in den uns wichtig erscheinenden positiven Ansätzen bestärken, aber auch Widersprüche aufzeigen und auf kritische Punkte aufmerksam machen. Mit Blick auf die Jahre 2015/2016 zeigen wir konkreten Handlungsbedarf auf, wo es gilt, den „Vorrang für das Zivile“ (so die im Umsetzungsbericht gewählte Formulierung) einzulösen und weiterzuentwickeln.

Vorrang für das Zivile: ein unterstützenswerter Ansatz

Wir begrüßen es sehr, dass die Bundesregierung in diesem Umsetzungsbericht Friedens- und Krisenpräventionspolitik nicht mehr mit Sicherheitspolitik im Sinne des Schutzes deutscher Interessen gleichsetzt oder gar dieser unterordnet. Wir erkennen vielmehr das Bemühen, dem lange vernachlässigten Handlungsfeld mit neuen Vorschlägen höhere Priorität einzuräumen. Dies schafft eine wesentliche Voraussetzung für den staatlich-zivilgesellschaftlichen Austausch über Krisenprävention und Friedensförderung. Im Vergleich zum Vorgängerbericht ist die Sprache differenzierter, die Notwendigkeit des Mittelaufwuchses wird anerkannt und problemorientierte Ansätze zur zivilen Krisenprävention werden deutlich. Hierzu zählt z.B. der Aufbau eines MediatorInnen-Pools für den Einsatz im Rahmen der zivilen Konfliktbearbeitung. Auch die ausdrückliche Anerkennung der Notwendigkeit eines friedenspolitischen Leitbildes für die deutsche Politik findet unsere volle Unterstützung. Ein solches Leitbild müsste die Visionen, Leitziele, Handlungsprinzipien und Umsetzungsstrategien deutscher Friedenspolitik benennen, um die bisher fehlende Brücke zwischen dem Friedensgebot des Grundgesetzes und dem Aktionsplan zu schlagen. Angesichts der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung sollte das Leitbild im Dialog mit der Zivilgesellschaft entwickelt werden. Das angedeutete Verfahren (schrittweise Entwicklung getrennt nach Ressorts bzw. Politikfeld) halten wir für nicht adäquat: Die bestehenden Widersprüche zwischen den Ressorts und ihren immanenten Zielsetzungen werden damit nicht aufgelöst.

Wir begrüßen, dass die Bundesregierung die Maßnahmen der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung als Beitrag zur Prävention von Menschenrechtsverletzungen betrachtet und ebenso umgekehrt Maßnahmen zur Achtung der Menschenrechte als Beiträge zur Krisenprävention. Wir vermissen im Umsetzungsbericht jedoch eine Querschnittsverankerung der Menschenrechtsorientierung im Sinne dieser wertorientierten Friedenspolitik: Hierzu bedarf es einer klaren Verknüpfung des Aktionsplans Zivile Krisenprävention mit dem Menschenrechts-Aktionsplan, eine Verknüpfung, die sich auch im Umsetzungsbericht und seinen Teilaspekten widerspiegeln müsste. Auf das unter Umständen konfliktive Verhältnis zwischen Menschenrechts- und Deeskalationspolitik wäre hierbei einzugehen.

So sehr wir das Bemühen um die Förderung der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung im Bericht anerkennen, so sehen wir doch grundsätzliche Hemmnisse für die Umsetzung in die Praxis:

Fehlende Konfliktanalyse und mangelhafte Einbeziehung der Menschen vor Ort

Der Umsetzungsbericht verdeutlicht, dass das Handeln der Bundesregierung und der beteiligten Ressorts wesentlich durch die zur Verfügung stehenden Instrumente bestimmt wird. Notwendige Verbesserungen werden nicht in den Blick genommen. Nicht das Ziel, die angestrebte Krisenprävention und Deeskalation, bestimmt das Mittel, sondern die vorhandenen Instrumente, sozusagen „das Fahrzeug“ bestimmt das angesteuerte Ziel. In den Unterkapiteln des Umsetzungsberichts werden Maßnahmen und Ansätze selbstreferentiell gerechtfertigt. Es ist nicht zu erkennen, ob sie aus einer systematischen Konfliktanalyse abgeleitet und an den Bedürfnissen der Menschen in den Konfliktregionen ausgerichtet wurden. Der Bericht enthält keine auf den jeweiligen Konfliktkontext bezogene Wirkungsanalyse. Um die Aussagen über durchgeführte Aktivitäten einordnen und bewerten zu können, ist es nötig, Antworten auf folgende Fragen zu bekommen: Was hat deutsches und internationales Handeln in Syrien und Irak, im Südsudan, in Mali und Zentralafrika, in weiten Teilen Afghanistans und in der Ukraine bewirkt? Welche Gründe haben negativ zu bewertende Resultate? Welche Handlungsalternativen gab es? Die Bundesregierung vermeidet einen breiteren Blick auf die Vielfältigkeit von Konfliktursachen, die auch aus konfliktträchtigen Handlungsfeldern deutscher Politik erwachsen, wie beispielsweise die aktuelle Wirtschafts-, Handels-, Agrar-, Rohstoff-, Finanz-, Energie- oder Klimapolitik. Es fehlen darauf eingehende mittelfristige Ziele mit der Definition entsprechender kurzfristiger Teilschritte. Nur mit einer solchen Analyse wird es gelingen, Krisenprävention und Friedenskonsolidierung zwischen allen politischen Handlungsfeldern kohärent umzusetzen. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang die gängige Rüstungsexportpraxis zu benennen. Ein markantes Beispiel hierzu: Der aktuelle Rüstungsexportbericht der GKKE kommentiert den starken Anstieg der Waffenlieferungen nach Algerien und den Aufbau einer Panzerfabrik kritisch. Der Export von Rüstungsgütern dorthin ist angesichts der internen Konfliktlagen und der prekären Menschenrechtssituation in der Region, nach Meinung der GKKE, abzulehnen.

Gesellschaftliche Konfliktlinien als blinder Fleck

Die im Bericht dargestellten Instrumente, Maßnahmen und Projekte lassen einen eindeutigen Schwerpunkt auf sog. Top Down-Ansätze erkennen. Statebuilding ist der Hauptfokus. Der Aufbau von staatlichen Sicherheitsstrukturen, insbesondere der Aufbau von Polizei, ist im Bericht die mit Abstand häufigste Zielsetzung der aufgeführten Maßnahmen. Dabei bleibt unreflektiert, wie ambivalent dies sein kann, wie aktuelle Analysen unter Anderem zu Afghanistan zeigen. Gesellschaftlich bezogene Konfliktbearbeitung, z.B. die Förderung lokaler Dialog- und Entscheidungsräume beinhaltet, kommt eindeutig zu kurz. Die in dem „New Deal for Engagement in Fragile States“ (Busan 2011) formulierte Einsicht, dass die Entwicklung positiver Staats-Gesellschaft-Beziehungen vorrangige Bedeutung für Friedensaufbau haben muss, bleibt im Umsetzungsbericht unerwähnt.

Wir begrüßen, dass Zivilgesellschaft im Umsetzungsbericht als Korrektiv zum Handeln nationaler Regierungen anerkannt wird und die Bundesregierung dies unterstützen will. Dabei ist jedoch der eigenständigen Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure Rechnung zu tragen und einer Instrumentalisierung sowie Gefährdung von kritischen Akteuren entgegenzuwirken. Zivilgesellschaftliche Akteure sind nicht selten massiven Bedrohungen und Repressalien ausgesetzt wie z.B. in Ägypten, Aserbaidschan und Mexiko. Auf die Frage, wie unter diesen Bedingungen zivilgesellschaftliches Engagement gefördert und die Handlungsräume gesichert werden können, liefert der Umsetzungsbericht keine überzeugenden Antworten.

Auch in Bezug auf die von uns eingeforderte Wirkungsanalyse ist ein Bottom up-Ansatz im Sinne der Einbeziehung gesellschaftlicher Auswirkungen dringend geboten. Der Umsetzungsbericht lässt nicht erkennen, in welcher Weise die Kontextanalysen und die Sichtweisen der vom Konflikt Betroffenen und lokalen zivilgesellschaftlichen Akteure in die Programmarbeit und deren Auswertung eingeflossen sind. Ein Einholen von Stellungnahmen basisnaher, zivilgesellschaftlicher Organisationen aus den betroffenen Ländern zu den im Bericht dargestellten Ansätzen wäre eine Möglichkeit, um Problemlagen und Lösungsmöglichkeiten differenziert zu diskutieren.

Einige Beispiele hierzu als Erläuterung: Die Problematik des religiösen Extremismus wird im Umsetzungsbericht auf die Zunahme antiwestlicher Feindbilder und den Bearbeitungsansatz ‘Islamdialog’ reduziert (S. 36). Die Bereitschaft von Jugendlichen sich in einer prekären, perspektivlosen Situation extremistischen Strömungen zu öffnen, bleibt damit unbearbeitet. Zum Thema Landkonflikte gehen Bauernverbände des Südens über die freiwilligen Leitlinien der FAO (S. 42) weit hinaus und fordern unter Bezugnahme des Menschenrechts auf Nahrung die politische Unterstützung von Bodenrechtsreformen unter maßgeblichem Ownership der bäuerlichen Bevölkerung. Eine von verschiedenen denkbaren Quellen für Wirkungskontrollen aus Sicht der Betroffenen wären die Partner des Gemeinschaftswerks Ziviler Friedensdienst (ZFD), wenn der ZFD nicht als Instrument (S. 31) verstanden würde, sondern als Ansprechpartner für basisnahe Friedensarbeit im globalen Süden.

Die finanziellen Mittel für Zivile Krisenprävention bleiben intransparent

Vor wenigen Wochen wurde der Bundeshaushalt für 2015 beschlossen: Erfreulich ist der auch im Umsetzungsbericht erwähnte Mittelaufwuchs beim Zivilen Friedensdienst. Es bleibt aber unbeantwortet, welcher finanzielle Bedarf aus Sicht der Bundesregierung für Zivile Krisenprävention und Friedensförderung insgesamt besteht. Auch herrscht keine Transparenz der insgesamt eingesetzten Mittel, weshalb eine Beurteilung der Wirksamkeit auch der finanziellen Mittel unmöglich ist. So sind die Konsequenzen aus Umschichtungen, Kürzungen, wiederholt überplanmäßigen Ausgaben im Titel 68734-29 im Haushalt des Auswärtigen Amts (Unterstützung von internationalen Maßnahmen auf den Gebieten Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung) nicht beschrieben und nachvollziehbar. Ferner geht der Umsetzungsbericht nicht auf die Problematik einer für zivilgesellschaftliche Ansätze notwendigen mittelfristigen Finanzplanung ein. Und es stellt sich die Frage: Wie ist der „Vorrang für das Zivile“ in Einklang zu bringen mit den wesentlich höheren Ausgaben für die Bundeswehr und ihre militärischen Einsätze?

Vorrang für das Zivile: Perspektiven für 2015/2016

In den nächsten beiden Jahren gibt es wichtige Gelegenheiten, um den „Vorrang für das Zivile“ in Entscheidungen umzusetzen. Wir begrüßen, dass Deutschland sich im Rahmen der Post2015-Agenda für ein eigenständiges Ziel „friedliche und inklusive Gesellschaften“ einsetzt. Im Rahmen des Agenda-Prozesses sollte darauf geachtet werden, dass die Themen Frieden und Menschenrechte als Querschnittsthemen in der gesamten Post2015-Agenda sichtbar werden. Es muss darauf hingearbeitet werden, dass dies in gleicher Weise auch in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie umgesetzt wird. Weiterhin bieten die deutsche G7-Präsidentschaft sowie der Vorsitz im Menschenrechtsrat Möglichkeiten, notwendige Verbindungen zwischen Krisenprävention, Friedensförderung und Konflikttransformation mit der Einhaltung von menschenrechtlichen Verpflichtungen herzustellen und zu verstärken. Im Sinne der Krisenprävention wäre auch für den geplanten Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Prinzipien Wirtschaft und Menschenrechte auf die enge Verknüpfung von Menschenrechtskonformität und Konfliktsensibilität für Unternehmen zu achten. Maßnahmen sollten außerdem ergriffen werden, um globales Handelsgeschehen mit Auswirkungen auf lokale Konflikte (wie Menschenhandel, Drogen- und Waffenhandel, Finanzhandel und -transaktionen) konsequenter als bisher auf die Tagesordnung zu nehmen.

Wir fordern die Bundesregierung auf, auf nationaler Ebene die vorhandenen Möglichkeiten zum Dialog mit der Zivilgesellschaft wie u.a. der Beirat des Aktionsplans Zivile Krisenprävention, die Arbeitsgemeinschaft FriEnt und andere stärker zu nutzen, um ressortübergreifend den Dialog über eine Friedenspolitik Deutschlands (siehe Eingangskapitel) voranzubringen. Dabei wäre es hilfreich, wie bereits immer wieder vorgeschlagen, den Ressortkreis Zivile Krisenprävention durch die Anbindung an die Staatssekretärsebene politisch aufzuwerten. Unabhängig hiervon ist seine Ausstattung mit finanziellen Mitteln und Personal im Sinne einer arbeitsfähigen und wirksamen interministeriellen Struktur zu verbessern.

Das für 2016 in Aussicht gestellte Weißbuch für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik sollte die Arbeit an einem friedenspolitischen Leitbild der Bundesregierung nicht in den Hintergrund drängen. Den Reviewprozess des AA und den Entwicklungsprozess zur Zukunftscharta des BMZ aufgreifend sollte ein Leitbildprozess in Gang gesetzt werden, der auch gesellschaftliche Verankerung findet.

Den Umsetzungsbericht selbst finden Sie auf der Website des Auswärtigen Amtes.

Bild: Konsortium Ziviler Friedensdienst

Weiter Informationen des Forum Ziviler Friedensdienst finden Sie im zfd aktuell 6/2014 mit folgenden Inhalten:

News

Vorrang für Zivile – nur in der Theorie!? Gemeinsame Stellungnahme des Konsortium ZFD zusammen mit Anderen zum kürzlich vorgestellten vierten Umsetzungsbericht Zivile Krisenprävention.

Liebe deinen Nächsten – Religionsvertreter im Dialog: Christliche und muslimische Führer im Gebiet der Großen Seen diskutieren über Friedenspotenzial von Religion – mitorganisiert von EIRENE.

Bundeshaushalt 2015 – ZFD erhält mehr Mittel: Im kommenden Jahr stehen dem ZFD fünf Millionen Euro mehr als in 2014 zur Verfügung.

BMZ-Zukunftscharta veröffentlicht: Friedensarbeit soll stärker ins Zentrum deutscher internationaler Politik rücken.

Christoph Strässer besucht WFD-Projekt in Simbabwe: Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung informiert sich über Arbeit einer Frauenorganisation.

Termine

Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender in Honduras: Vortrag und Diskussion in Hamburg am 07. Januar 2015, mitorganisiert von pbi.

Aktionstagung zur Post-2015 Agenda in Köln: Das forumZFD mischt sich ein in die Entwicklungsagenda – und lädt zum Mitmachen ein vom 06.-08. Februar 2015.

forumZFD-Fachgespräch „Klimawandel und Konflikte“ in Bonn: Wie hängen Klima und Konflikte zusammen, was kann der ZFD tun? Am 14.01. in Bonn.

Veröffentlichungen

Film „Erinnern fördern, Versöhnung stärken“: ZFD-Partner beschreiben die Bedeutung von Vergangenheitsarbeit und den Beitrag von Fachkräften.

Qualifizierungskurse von AGEH und Brot für die Welt-EED: Projektplanung, Monitoring, Medienkompetenz. Den ganzen Kursplan finden sie im neuen Jahresprogramm 2015.

„Wirksamer handeln“ ist das Thema der neuen AGEH-Contacts: Wie wirken eigentlich Fachkräfte? Und woran sehen wir diese Wirkung? Darum geht’s in der neuen Ausgabe.

forumZFD-Magazin IV/2014 mit Blickpunkt Post-2015 Agenda: Die aktuelle Ausgabe nimmt den Zusammenhang von Entwicklung und Frieden in den Fokus

EIRENE-Rundbrief mit Gastkommentar von BMZ-Staatssekretär Fuchtel: „Entwicklungspolitik ist gelebte Verantwortung.“

Erfahrungen aus der Theaterpädagogik in einem Brot für die Welt-EED Band: „Theatre for Peace“ liefert praktische und theoretische Einsichten aus ZFD-Projekten.Zum 10-jährigen Jubiläum der Verabschiedung des Aktionsplans Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung hat die Bundesregierung nun ihren vierten Umsetzungsbericht vorgelegt. Als Netzwerke und Dachorganisationen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich in der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung engagieren, nehmen das Konsortium ZFD, die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, das Forum Menschenrechte und VENRO Stellung zu diesem Bericht. Damit wollen wir die Regierung und das Parlament in den uns wichtig erscheinenden positiven Ansätzen bestärken, aber auch Widersprüche aufzeigen und auf kritische Punkte aufmerksam machen. Mit Blick auf die Jahre 2015/2016 zeigen wir konkreten Handlungsbedarf auf, wo es gilt, den „Vorrang für das Zivile“ (so die im Umsetzungsbericht gewählte Formulierung) einzulösen und weiterzuentwickeln.

Vorrang für das Zivile: ein unterstützenswerter Ansatz

Wir begrüßen es sehr, dass die Bundesregierung in diesem Umsetzungsbericht Friedens- und Krisenpräventionspolitik nicht mehr mit Sicherheitspolitik im Sinne des Schutzes deutscher Interessen gleichsetzt oder gar dieser unterordnet. Wir erkennen vielmehr das Bemühen, dem lange vernachlässigten Handlungsfeld mit neuen Vorschlägen höhere Priorität einzuräumen. Dies schafft eine wesentliche Voraussetzung für den staatlich-zivilgesellschaftlichen Austausch über Krisenprävention und Friedensförderung. Im Vergleich zum Vorgängerbericht ist die Sprache differenzierter, die Notwendigkeit des Mittelaufwuchses wird anerkannt und problemorientierte Ansätze zur zivilen Krisenprävention werden deutlich. Hierzu zählt z.B. der Aufbau eines MediatorInnen-Pools für den Einsatz im Rahmen der zivilen Konfliktbearbeitung. Auch die ausdrückliche Anerkennung der Notwendigkeit eines friedenspolitischen Leitbildes für die deutsche Politik findet unsere volle Unterstützung. Ein solches Leitbild müsste die Visionen, Leitziele, Handlungsprinzipien und Umsetzungsstrategien deutscher Friedenspolitik benennen, um die bisher fehlende Brücke zwischen dem Friedensgebot des Grundgesetzes und dem Aktionsplan zu schlagen. Angesichts der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung sollte das Leitbild im Dialog mit der Zivilgesellschaft entwickelt werden. Das angedeutete Verfahren (schrittweise Entwicklung getrennt nach Ressorts bzw. Politikfeld) halten wir für nicht adäquat: Die bestehenden Widersprüche zwischen den Ressorts und ihren immanenten Zielsetzungen werden damit nicht aufgelöst.

Wir begrüßen, dass die Bundesregierung die Maßnahmen der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung als Beitrag zur Prävention von Menschenrechtsverletzungen betrachtet und ebenso umgekehrt Maßnahmen zur Achtung der Menschenrechte als Beiträge zur Krisenprävention. Wir vermissen im Umsetzungsbericht jedoch eine Querschnittsverankerung der Menschenrechtsorientierung im Sinne dieser wertorientierten Friedenspolitik: Hierzu bedarf es einer klaren Verknüpfung des Aktionsplans Zivile Krisenprävention mit dem Menschenrechts-Aktionsplan, eine Verknüpfung, die sich auch im Umsetzungsbericht und seinen Teilaspekten widerspiegeln müsste. Auf das unter Umständen konfliktive Verhältnis zwischen Menschenrechts- und Deeskalationspolitik wäre hierbei einzugehen.

So sehr wir das Bemühen um die Förderung der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung im Bericht anerkennen, so sehen wir doch grundsätzliche Hemmnisse für die Umsetzung in die Praxis:

Fehlende Konfliktanalyse und mangelhafte Einbeziehung der Menschen vor Ort

Der Umsetzungsbericht verdeutlicht, dass das Handeln der Bundesregierung und der beteiligten Ressorts wesentlich durch die zur Verfügung stehenden Instrumente bestimmt wird. Notwendige Verbesserungen werden nicht in den Blick genommen. Nicht das Ziel, die angestrebte Krisenprävention und Deeskalation, bestimmt das Mittel, sondern die vorhandenen Instrumente, sozusagen „das Fahrzeug“ bestimmt das angesteuerte Ziel. In den Unterkapiteln des Umsetzungsberichts werden Maßnahmen und Ansätze selbstreferentiell gerechtfertigt. Es ist nicht zu erkennen, ob sie aus einer systematischen Konfliktanalyse abgeleitet und an den Bedürfnissen der Menschen in den Konfliktregionen ausgerichtet wurden. Der Bericht enthält keine auf den jeweiligen Konfliktkontext bezogene Wirkungsanalyse. Um die Aussagen über durchgeführte Aktivitäten einordnen und bewerten zu können, ist es nötig, Antworten auf folgende Fragen zu bekommen: Was hat deutsches und internationales Handeln in Syrien und Irak, im Südsudan, in Mali und Zentralafrika, in weiten Teilen Afghanistans und in der Ukraine bewirkt? Welche Gründe haben negativ zu bewertende Resultate? Welche Handlungsalternativen gab es? Die Bundesregierung vermeidet einen breiteren Blick auf die Vielfältigkeit von Konfliktursachen, die auch aus konfliktträchtigen Handlungsfeldern deutscher Politik erwachsen, wie beispielsweise die aktuelle Wirtschafts-, Handels-, Agrar-, Rohstoff-, Finanz-, Energie- oder Klimapolitik. Es fehlen darauf eingehende mittelfristige Ziele mit der Definition entsprechender kurzfristiger Teilschritte. Nur mit einer solchen Analyse wird es gelingen, Krisenprävention und Friedenskonsolidierung zwischen allen politischen Handlungsfeldern kohärent umzusetzen. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang die gängige Rüstungsexportpraxis zu benennen. Ein markantes Beispiel hierzu: Der aktuelle Rüstungsexportbericht der GKKE kommentiert den starken Anstieg der Waffenlieferungen nach Algerien und den Aufbau einer Panzerfabrik kritisch. Der Export von Rüstungsgütern dorthin ist angesichts der internen Konfliktlagen und der prekären Menschenrechtssituation in der Region, nach Meinung der GKKE, abzulehnen.

Gesellschaftliche Konfliktlinien als blinder Fleck

Die im Bericht dargestellten Instrumente, Maßnahmen und Projekte lassen einen eindeutigen Schwerpunkt auf sog. Top Down-Ansätze erkennen. Statebuilding ist der Hauptfokus. Der Aufbau von staatlichen Sicherheitsstrukturen, insbesondere der Aufbau von Polizei, ist im Bericht die mit Abstand häufigste Zielsetzung der aufgeführten Maßnahmen. Dabei bleibt unreflektiert, wie ambivalent dies sein kann, wie aktuelle Analysen unter Anderem zu Afghanistan zeigen. Gesellschaftlich bezogene Konfliktbearbeitung, z.B. die Förderung lokaler Dialog- und Entscheidungsräume beinhaltet, kommt eindeutig zu kurz. Die in dem „New Deal for Engagement in Fragile States“ (Busan 2011) formulierte Einsicht, dass die Entwicklung positiver Staats-Gesellschaft-Beziehungen vorrangige Bedeutung für Friedensaufbau haben muss, bleibt im Umsetzungsbericht unerwähnt.

Wir begrüßen, dass Zivilgesellschaft im Umsetzungsbericht als Korrektiv zum Handeln nationaler Regierungen anerkannt wird und die Bundesregierung dies unterstützen will. Dabei ist jedoch der eigenständigen Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure Rechnung zu tragen und einer Instrumentalisierung sowie Gefährdung von kritischen Akteuren entgegenzuwirken. Zivilgesellschaftliche Akteure sind nicht selten massiven Bedrohungen und Repressalien ausgesetzt wie z.B. in Ägypten, Aserbaidschan und Mexiko. Auf die Frage, wie unter diesen Bedingungen zivilgesellschaftliches Engagement gefördert und die Handlungsräume gesichert werden können, liefert der Umsetzungsbericht keine überzeugenden Antworten.

Auch in Bezug auf die von uns eingeforderte Wirkungsanalyse ist ein Bottom up-Ansatz im Sinne der Einbeziehung gesellschaftlicher Auswirkungen dringend geboten. Der Umsetzungsbericht lässt nicht erkennen, in welcher Weise die Kontextanalysen und die Sichtweisen der vom Konflikt Betroffenen und lokalen zivilgesellschaftlichen Akteure in die Programmarbeit und deren Auswertung eingeflossen sind. Ein Einholen von Stellungnahmen basisnaher, zivilgesellschaftlicher Organisationen aus den betroffenen Ländern zu den im Bericht dargestellten Ansätzen wäre eine Möglichkeit, um Problemlagen und Lösungsmöglichkeiten differenziert zu diskutieren.

Einige Beispiele hierzu als Erläuterung: Die Problematik des religiösen Extremismus wird im Umsetzungsbericht auf die Zunahme antiwestlicher Feindbilder und den Bearbeitungsansatz ‘Islamdialog’ reduziert (S. 36). Die Bereitschaft von Jugendlichen sich in einer prekären, perspektivlosen Situation extremistischen Strömungen zu öffnen, bleibt damit unbearbeitet. Zum Thema Landkonflikte gehen Bauernverbände des Südens über die freiwilligen Leitlinien der FAO (S. 42) weit hinaus und fordern unter Bezugnahme des Menschenrechts auf Nahrung die politische Unterstützung von Bodenrechtsreformen unter maßgeblichem Ownership der bäuerlichen Bevölkerung. Eine von verschiedenen denkbaren Quellen für Wirkungskontrollen aus Sicht der Betroffenen wären die Partner des Gemeinschaftswerks Ziviler Friedensdienst (ZFD), wenn der ZFD nicht als Instrument (S. 31) verstanden würde, sondern als Ansprechpartner für basisnahe Friedensarbeit im globalen Süden.

Die finanziellen Mittel für Zivile Krisenprävention bleiben intransparent

Vor wenigen Wochen wurde der Bundeshaushalt für 2015 beschlossen: Erfreulich ist der auch im Umsetzungsbericht erwähnte Mittelaufwuchs beim Zivilen Friedensdienst. Es bleibt aber unbeantwortet, welcher finanzielle Bedarf aus Sicht der Bundesregierung für Zivile Krisenprävention und Friedensförderung insgesamt besteht. Auch herrscht keine Transparenz der insgesamt eingesetzten Mittel, weshalb eine Beurteilung der Wirksamkeit auch der finanziellen Mittel unmöglich ist. So sind die Konsequenzen aus Umschichtungen, Kürzungen, wiederholt überplanmäßigen Ausgaben im Titel 68734-29 im Haushalt des Auswärtigen Amts (Unterstützung von internationalen Maßnahmen auf den Gebieten Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung) nicht beschrieben und nachvollziehbar. Ferner geht der Umsetzungsbericht nicht auf die Problematik einer für zivilgesellschaftliche Ansätze notwendigen mittelfristigen Finanzplanung ein. Und es stellt sich die Frage: Wie ist der „Vorrang für das Zivile“ in Einklang zu bringen mit den wesentlich höheren Ausgaben für die Bundeswehr und ihre militärischen Einsätze?

Vorrang für das Zivile: Perspektiven für 2015/2016

In den nächsten beiden Jahren gibt es wichtige Gelegenheiten, um den „Vorrang für das Zivile“ in Entscheidungen umzusetzen. Wir begrüßen, dass Deutschland sich im Rahmen der Post2015-Agenda für ein eigenständiges Ziel „friedliche und inklusive Gesellschaften“ einsetzt. Im Rahmen des Agenda-Prozesses sollte darauf geachtet werden, dass die Themen Frieden und Menschenrechte als Querschnittsthemen in der gesamten Post2015-Agenda sichtbar werden. Es muss darauf hingearbeitet werden, dass dies in gleicher Weise auch in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie umgesetzt wird. Weiterhin bieten die deutsche G7-Präsidentschaft sowie der Vorsitz im Menschenrechtsrat Möglichkeiten, notwendige Verbindungen zwischen Krisenprävention, Friedensförderung und Konflikttransformation mit der Einhaltung von menschenrechtlichen Verpflichtungen herzustellen und zu verstärken. Im Sinne der Krisenprävention wäre auch für den geplanten Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Prinzipien Wirtschaft und Menschenrechte auf die enge Verknüpfung von Menschenrechtskonformität und Konfliktsensibilität für Unternehmen zu achten. Maßnahmen sollten außerdem ergriffen werden, um globales Handelsgeschehen mit Auswirkungen auf lokale Konflikte (wie Menschenhandel, Drogen- und Waffenhandel, Finanzhandel und -transaktionen) konsequenter als bisher auf die Tagesordnung zu nehmen.

Wir fordern die Bundesregierung auf, auf nationaler Ebene die vorhandenen Möglichkeiten zum Dialog mit der Zivilgesellschaft wie u.a. der Beirat des Aktionsplans Zivile Krisenprävention, die Arbeitsgemeinschaft FriEnt und andere stärker zu nutzen, um ressortübergreifend den Dialog über eine Friedenspolitik Deutschlands (siehe Eingangskapitel) voranzubringen. Dabei wäre es hilfreich, wie bereits immer wieder vorgeschlagen, den Ressortkreis Zivile Krisenprävention durch die Anbindung an die Staatssekretärsebene politisch aufzuwerten. Unabhängig hiervon ist seine Ausstattung mit finanziellen Mitteln und Personal im Sinne einer arbeitsfähigen und wirksamen interministeriellen Struktur zu verbessern.

Das für 2016 in Aussicht gestellte Weißbuch für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik sollte die Arbeit an einem friedenspolitischen Leitbild der Bundesregierung nicht in den Hintergrund drängen. Den Reviewprozess des AA und den Entwicklungsprozess zur Zukunftscharta des BMZ aufgreifend sollte ein Leitbildprozess in Gang gesetzt werden, der auch gesellschaftliche Verankerung findet.

Den Umsetzungsbericht selbst finden Sie auf der Website des Auswärtigen Amtes.

Bild: Konsortium Ziviler Friedensdienst

Weiter Informationen des Forum Ziviler Friedensdienst finden Sie im zfd aktuell 6/2014 mit folgenden Inhalten:

News

Vorrang für Zivile – nur in der Theorie!? Gemeinsame Stellungnahme des Konsortium ZFD zusammen mit Anderen zum kürzlich vorgestellten vierten Umsetzungsbericht Zivile Krisenprävention.

Liebe deinen Nächsten – Religionsvertreter im Dialog: Christliche und muslimische Führer im Gebiet der Großen Seen diskutieren über Friedenspotenzial von Religion – mitorganisiert von EIRENE.

Bundeshaushalt 2015 – ZFD erhält mehr Mittel: Im kommenden Jahr stehen dem ZFD fünf Millionen Euro mehr als in 2014 zur Verfügung.

BMZ-Zukunftscharta veröffentlicht: Friedensarbeit soll stärker ins Zentrum deutscher internationaler Politik rücken.

Christoph Strässer besucht WFD-Projekt in Simbabwe: Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung informiert sich über Arbeit einer Frauenorganisation.

Termine

Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender in Honduras: Vortrag und Diskussion in Hamburg am 07. Januar 2015, mitorganisiert von pbi.

Aktionstagung zur Post-2015 Agenda in Köln: Das forumZFD mischt sich ein in die Entwicklungsagenda – und lädt zum Mitmachen ein vom 06.-08. Februar 2015.

forumZFD-Fachgespräch „Klimawandel und Konflikte“ in Bonn: Wie hängen Klima und Konflikte zusammen, was kann der ZFD tun? Am 14.01. in Bonn.